Der Gitano. Abenteuererzählungen
führte, der Sarah als Schlafkabinet angewiesen war und alle ihre Habseligkeiten enthielt. Es war vollständig dunkel darin, doch fand er sich sehr gut zurecht.
Nach kurzer Zeit trat das Mädchen ein.
»Bist Du da?« flüsterte sie.
»Ja, mein süßes Herz,« antwortete er, sie umschlingend und an sich drückend. »Ich bin gekommen, Dir eine frohe Botschaft mitzutheilen.«
»Welche?« frug sie, seine Liebkosung stürmisch erwidernd.
»Ich gehe fort. Willst Du mit?«
»O wie gern! Mit Dir gehe ich, wohin Du mich nur immer führst. Wann reisest Du ab?«
»Schon heut.«
»Das ist zu schnell. Ich muß doch Zeit haben, mich vorzubereiten, und auch mit der Herren sprechen.«
»Du brauchst keine Vorbereitung, denn ich habe bereits für Alles gesorgt. Und der Herrin darfst Du gar nichts sagen, sonst läßt sie Dich nicht fort.«
»Aber sie ist so gut; ich darf doch nicht so undankbar sein und sie heimlich verlassen!«
»So ist sie Dir wohl lieber als ich?« frug er in vorwurfsvollem Tone.
»Wie darfst Du so denken! Du bist mir lieber als Alles, was ich kenne, und für Dich will ich Alles thun, was Du von mir verlangst. Ich gehe mit, auch heut!«
»Das habe ich nicht anders erwartet, Sarah, und Du wirst es nie bereuen, denn erst jetzt beginnst Du zu leben und die Genüsse kennen zu lernen, welche Dir hier versagt bleiben würden. Doch nicht als Mädchen darfst Du mich begleiten; das würde uns hindern, in steter Nähe zu verkehren und unser Glück bis auf die Neige zu genießen.«
»Nicht als Mädchen! Wie sonst?«
»Als Knabe. Hier in diesem Paket befindet sich alles Erforderliche. Der Anzug wird Dir prächtig stehen.«
»Als Knabe!?« meinte sie, geschmeichelt und erfreut, indem sie sich noch inniger an ihn schmiegte. »O, wie hübsch wird das sein. Ich werde Dein Diener sein und Dich keinen Augenblick allein lassen.«
»Aber ein großes Opfer wirst Du mir bringen müssen, mein liebes Kind!«
»Befiehl mir; es ist mir keins zu groß!«
»Dein Haar, Dein herrliches Haar werde ich Dir verschneiden müssen; denn es würde verrathen, daß Du kein Knabe, sondern das schönste Mädchen der Vereinigten Staaten bist.«
»Schneide es nur immer ab. Ich gebe es gern hin für das Glück, von Dir so innig geliebt zu sein.«
»Wie lange mußt Du heut bei Mutter Smolly sein?«
»Bis zehn Uhr; dann bin ich frei.«
»So sorge, daß ich von da an das Haus offen finde und kleide Dich sorgfältig um, damit ich nicht zu warten brauche. Es wohnt seit gestern ein Master Forster bei Euch?«
»Ja, ein sehr schöner und auch sehr lieber Gentleman.«
»Ah, ich merke, daß es Zeit ist, Dich von hier fortzunehmen. Du mußt auch ihn bedienen?«
»Ja. Seine Zimmer sind mir von der Herrin übergeben worden, und ich führe einen separaten Schlüssel zu ihnen, damit ich während seiner Abwesenheit meine Arbeit verrichten kann.«
»Sorge dafür, daß dieser Schlüssel hier ist, wenn ich komme.«
»Warum? Mußt Du in die Zimmer?« frug sie arglos.
»Ja. Man kann von Ihnen hinüber zu Olbers schauen, und ich muß Einiges da drüben beobachten, ehe ich das Haus verlasse. Jetzt aber leb wohl, Sarah, und führe Alles genau aus, was ich Dir gesagt habe!«
Nach einer innigen Umarmung stieg er, den Mantel zurücklassend, die Treppen wieder hinab und stand nach wenigen Augenblicken in dem Salon des Bankiers.
Er war der erste der Geladenen und fand Marga allein vor.
»
Good evening,
Miß. Master Olbers hat mir erlaubt, den letzten Abend, der mir für Stenton zugemessen ist, in Eurer Nähe zu verbringen. Darf ich mir einbilden, daß meine Gegenwart Euch nicht ganz unangenehm ist?«
»Die Einbildung ist eine weit verbreitete aber schlimme Angewohnheit, Sir, und mein Gewissen läßt mir niemals zu, sie zu unterstützen.«
Er zog die Spitze seines Schnurrbartes durch die Zähne und entgegnete:
»Kein Mensch lebt von etwas Anderem, als von dem, was er sich einbildet. Das ganze Dasein ist ein Coulissenspiel, zu dem die Täuschung ihre Lichter spendet. Reichthum, Schönheit, Geist, Macht und Ehre kommen und gehen, und nur der ist glücklich, der den Augenblick ausbeutet. Der jetzige ist einer der schönsten meines Lebens, und ich darf ihn nicht vorüber lassen, ohne dies Euch gestanden zu haben.«
Marga wollte antworten, wurde aber ihrer Rede durch den Eintritt des Vaters enthoben. Zugleich mit ihm erschienen Forster und Summerland. Ersterer hatte Letzterem kein Wort über Wilson mitgetheilt; das Verhalten des Gefährten sollte ihm sagen,
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