Der Gitano. Abenteuererzählungen
der Forst, denn unter dem dichten Schatten der hohen Baumkronen wächst das Schlingwerk und niedrige Gesträuch, welches sonst die Urwälder so unwegsam macht, nur spärlich.
Eine Menge schöner Tauben, langschwänziger Papageyen, Pikafloren und anderer buntgefiederter Vogelarten bringt Leben und Bewegung in die ruhige Majestät des Haines und mildert den feierlichen Ernst desselben. Rauschende Wasserfälle stürzen häufig über die Basaltblöcke herab, um den Reiz dieser zugleich erhabenen und lieblichen Natur zu erhöhen. Die Besucher der Inseln rühmen ihr ewig frisches Grün, welches die Ufer umsäumt, und die Frische und Klarheit der Wasser, welche in silbernen Streifen von den Bergen strömen. Ich war neugierig, diese Inseln kennen zu lernen, welche in der neuesten Zeit die Blicke Deutschlands in so auffälliger Weise auf sich gezogen haben.
Wir hatten auf unserer einsamen Insel die gefallenen Malayen zusammengetragen und einen Steinhaufen über sie errichtet. Während dieser Beschäftigung und andern Arbeiten war die Nacht herangebrochen, und wir gingen zur Ruhe, um am frühesten Morgen mit der Doppelpraue nach Tutuila in See zu gehen, unterwegs aber an Manua anzulegen, um Tui-Fanua wo möglich mit seinem Weibe zusammenzuführen.
Wir hatten einen sehr günstigen Wind für uns und brauchten in Folge dessen die Ruder gar nicht zu führen. Bereits am Vormittage kam uns Manua in Sicht. Diese Insel hat die Form eines regelmäßigen Domes und steigt an den meisten Stellen senkrecht aus dem Wasser bis zur Höhe von vierhundert Fuß empor, worauf bis zu dem zweitausendfünfhundert Fuß hohen Gipfel die Erhebung des Landes sanfter und allmähliger erscheint. Das Eiland ist sechzehn Seemeilen im Umfange und mit einer sehr üppigen Vegetation geschmückt. In der Nähe befinden sich die kleinen Eilande Ofou und Olisinga. Letzteres ist eigentlich nur ein schmaler Felsenrand, etwa eine halbe Meile lang, mit fast senkrecht aufsteigenden Wänden.
Ich stand mit dem Kapitän am Steuer, welches Tui-Fanua führte, sein Bruder saß neben ihm.
»Wo landen wir?« frug ich den Häuptling.
Er deutete auf eine kleine enge Bucht, in welcher bereits mehrere Prauen vor Anker lagen. Eine Anzahl Männer und Frauen standen am Ufer und betrachteten neugierig unser Schiff. Es mochte ihnen sonderbar und vielleicht auch gefährlich vorkommen, daß in einem malayisch gebauten Fahrzeuge sich eine europäisch gekleidete Bemannung befand.
Da stieß Tui-Fanua einen lauten Ruf aus und nahm das Tapatuch, welches er wie einen Turban um den Kopf gewickelt hatte. Als er es schwenkte, erhoben alle am Strande mit freudiger Geberde die Arme, aber keiner beantwortete den Ruf.
»Was ist das?« frug ich ihn. »Warum antworten sie nicht? Ist hier Dein Dorf?«
»Ich bin Häuptling von drei Dörfern und mein Bruder von zweien,« antwortete er. »Hier wohne ich.«
»Aber warum verhalten sich Deine Leute so ruhig?«
Sein Auge blitzte rings umher, als wolle er jeden Felsen und jeden Baum und Strauch des Ufers mit seinem Blicke durchdringen.
»Entweder ist ein Unglück geschehen, oder es droht uns eine Gefahr, Herr. Laß Deine Leute zu den Rudern greifen, damit wir durch die Brandung kommen!«
Ich übersetzte dem Kapitän diesen Wunsch.
»Hallo, Jungens, zu den Riemen; wir haben die Brandung nahe!« kommandirte dieser.
Die Ruder schlugen in die schäumende Fluth, Tui-Fanua warf sich mit riesiger Kraft gegen das Steuer, wir wurden hoch emporgehoben; es brauste, zischte und donnerte einen Augenblick unter, um und über uns, dann hatten wir die freie Wasserfläche der Bucht erreicht.
Die am Strande Versammelten kamen herbeigeeilt. Allen voran ein alter Mann, der sich weinend vor den beiden Häuptlingen niederwarf, als diese aus dem Fahrzeuge gesprungen waren.
»Ambo, Du weinst! Was ist geschehen?« frug Potamo.
»Erzähle erst, wo Du gewesen bist, Herr! Sie hatten Dich gefangen und in die See geführt?«
»Ja, nach der Koralleninsel, wo sie uns verzehren wollten.«
»O, Herr!« klang es rundum erschrocken.
»Aber da kamen diese Männer und befreiten uns,« fuhr er fort. »Dankt ihnen, denn sie haben Katua und zweimal zehn und neun der Seinigen getödtet!«
Da erhob sich rund um uns ein Frohlocken, welches allerdings durch ein Zeichen des Alten schnell gedämpft wurde.
»Herr,« berichtete dieser, »der gute Gott Tangaloa ist von uns gewichen. Als wir hörten, daß Du gefangen seist, wollten wir Dich befreien. Ich versammelte alle Krieger der fünf
Weitere Kostenlose Bücher