Der Gitano. Abenteuererzählungen
unsrer Ankunft angetreten hatten, so war es uns vielleicht möglich, sie noch einzuholen.
Laßt mich’s kurz machen. Unterwegs stießen wir auf Winnetou, welcher über die Berge gekommen war, die Freunde zu sehen. Er wandte auf des Vaters Bericht, ohne ein Wort zu verlieren, sein Pferd, und nie im Leben werde ich den Anblick der beiden Männer vergessen, welche lautlos, aber mit glühendem Herzen und drängender, angstvoller Eile den Weg der Vorangezogenen verfolgten.
Wir trafen sie am
bee-fork.
Sie hatten die Schwarzfüße ereilt, welche im Flußthale lagerten und erwarteten nur die Nacht, um über sie herzufallen. Ich sollte bei der Pferdewache zurückbleiben; aber es ließ mir keine Ruhe, und als der Augenblick des Ueberfalles kam, schlich ich mich zwischen die Bäume vor und kam grad an dem Rande des Gehölzes an, als der erste Schuß fiel. Es war eine furchtbare Nacht. Der Feind war uns überlegen, und das Kampfgeschrei verstummte erst, als der Morgen zu grauen begann.
Ich hatte das Gewirr der wilden Gestalten gesehen, das Aechzen und Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden gehört und betend im nassen Grase gelegen. Jetzt kehrte ich zur Wache zurück. Sie war verschwunden. Unsägliche Angst bemächtigte sich meiner, und als ich jetzt das Freudengeheul der Feinde vernahm, wußte ich, daß wir besiegt seien.
Ich versteckte mich bis zum Abend und wagte mich dann auf den Platz, wo der Kampf stattgefunden hatte.
Tiefe Stille herrschte ringsum und der helle Schein des Mondes fiel auf die leblos daliegenden Gestalten. Gepackt von grausen Entsetzen irrte ich zwischen ihren herum, und – da lag sie, die Mutter, mitten durch die Brust geschossen, die Arme krampfhaft um das kleine Schwesterchen geschlungen, dessen Köpfchen von einem tiefen Messerhiebe klaffte. Der Anblick raubte mir die Besinnung, und ich fiel ohnmächtig über sie hin.
»Wie lange ich dagelegen, ich wußte es nicht. Es wurde Tag und Abend und wieder Tag; da hörte ich leise Schritte in der Nähe. Ich richtete mich empor und – o der Wonne – ich sah den Vater und Winnetou, beide in zerfetzten Kleidern und mit Wunden bedeckt. Sie waren der Uebermacht erlegen und gefesselt fortgeschleppt worden, hatten sich aber loszumachen gewußt und waren entflohen.«
Tief Athem holend hielt sie inne und richtete ihr Auge mit starrem Ausdrucke in die Weite. Dann sich rasch zu mir wendend, fragte sie:
»Ihr habt noch Eure Mutter, Sir?«
»Ja.«
»Was würdet Ihr thun, wenn Jemand sie Euch tödtete?«
»Ich würde den Arm des Gesetzes walten lassen.«
»Gut. Und wenn derselbe zu schwach oder zu kurz ist, wie hier im Westen, so leiht man dem Gesetze den eigenen Arm.«
»Es ist ein Unterschied zwischen Strafe und Rache, Miß! Die Erstere ist eine nothwendige Folge der Sünde und eng verbunden mit dem Begriffe göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit; die Zweite aber ist häßlich und betrügt den Menschen um die hohen Vorzüge, welche ihm vor dem Thiere verliehen sind.«
»Ihr könnt nur deßhalb so sprechen, weil Euch kein Indianerblut durch die kalten Adern rinnt. Wenn der Mensch aber sich freiwillig dieser Vorzüge entäußert und zur lebensgefährlichen Bestie wird, so darf er auch nur als eine solche behandelt und muß verfolgt werden, bis ihn die tödtende Kugel ereilt hat. Als wir an jenem Tage die beiden Todten in die Erde gescharrt und so den Angriffen der Aasgeier entzogen hatten, da gab es in den Herzen von uns Dreien kein anderes Gefühl als das des glühendsten Hasses gegen die Mörder unsres Glückes,« und es war unser eigenes Gelübde, welches Winnetou aussprach, als er mit tiefgrollender Stimme schwur:
»Der Häuptling der Apachen hat in der Erde gewühlt und den Pfeil der Rache gefunden. Seine Hand ist geballt, sein Fuß ist leicht und sein Tomahawk hat die Schärfe des Blitzes. Er wird suchen und finden Tim Finnetey, den Mörder der Rose vom Quicourt und seinen Scalp nehmen für das Leben Ribanna’s, der Tochter der Assineboins.«
»War Finnetey der Mörder, Miß?«
»Er war’s. In den ersten Augenblicken des Kampfes, als es schien, daß die überraschten Schwarzfüße unterliegen würden, schoß er sie nieder. Winnetou sah es, stürzte sich auf ihn, entriß ihm die Waffe und würde ihn getödtet haben, wenn er nicht von Andern gepackt und nach verzweifelter Gegenwehr gefangen genommen worden wäre. Zur Verspottung ließ man ihm die ungeladene Pistole; sie kam später als sein Geschenk in meine Hand und hat mich nie verlassen,
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