Der Gitano. Abenteuererzählungen
mochte ich meinen Fuß auf die Trottoirs der Städte oder den Grasboden der Prairie setzen.«
»Ich muß Euch sagen, daß –«
Sie schnitt mir die Rede durch eine hastige Handbewegung ab.
»Was Ihr mir sagen wollt, weiß ich und habe es mir tausendmal schon selbst gesagt. Aber habt Ihr noch nie die Sage vom ›
flats-ghost
‹ vernommen, welcher in wilden Stürmen über die Ebene braußt und Alles vernichtet, was ihm zu wiederstehen wagt? Es liegt ein tiefer Sinn in ihr, welcher uns sagen will, daß der ungezügelte Wille sich wie ein brandendes Meer über die Ebene ergießen müsse, bevor die Ordnung civilisirter Staaten hier festen Fuß fassen kann. Auch durch meine Adern pulsirt eine Woge jenes Meeres, und ich muß ihrem Drange folgen, obgleich ich weiß, daß ich in der Fluth versinken werde.«
Es waren ahnungsvolle Worte, welche sie hiermit aussprach, und es folgte ihnen eine tiefe, gedankenreiche Stille, welche ich endlich mit einer leisen Vorstellung zu unterbrechen wagte. Sie hörte mich ruhig an und schüttelte dann den Kopf. Mit beredtem Munde gab sie eine Schilderung des Eindruckes, welchen jene Schreckensnacht auf ihr Gemüth hervorgebracht hatte, eine Beschreibung ihres spätern Lebens, welches sie zwischen den Extremen der Wildniß und Gesittung hin-und hergeworfen hatte, und ich lag vor ihr, dem Klange ihrer tiefen, sonoren Stimme lauschend und jedes ihrer Worte trinkend, welche, ohne mich zu überzeugen, doch offenen Eingang in mein Inneres fanden.
Da ertönte von unten herauf ein scharfer Pfiff. Sie unterbrach sich und meinte:
»Vater ruft die Leute zusammen. Kommt nach unten. Es wird Zeit, den Gefangenen vorzunehmen.«
Ich erhob mich und ergriff ihre Hand.
»Wollt Ihr mir eine Bitte erfüllen, Miß?«
»Gern, wenn Ihr nichts Unmögliches von mir verlangt.«
»Ueberlaßt ihn den Männern!«
»Ihr bittet grad Das, was ich nicht gewähren kann. Tausend und abertausend Male hat es mich verlangt, ihm Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und den Tod entgegenschleudern zu können; tausend und abertausend Male habe ich mir diese Stunde ausgemalt mit allen Farben, welche der menschlichen Phantasie zu Gebote stehen; sie ist das Ziel meines Lebens, der Preis aller Leiden und Entbehrungen gewesen, die ich durchkämpft und durchkostet habe und nun – da ich so nahe an der Erfüllung meines größesten Wunsches stehe, soll ich auf die Erfüllung desselben verzichten? Nein, nein, und abermals nein!«
»Dieser Wunsch wird erfüllt werden, auch ohne Eure unmittelbare Betheiligung, Miß; der Menschengeist hat nach höheren Zielen zu streben, als dasjenige ist, welches Ihr Euch vorgesteckt habt, und das Menschenherz ist eines heiligeren und größeren Glückes fähig, als die Befriedigung auch des glühendsten Rachegefühles bietet. Euch ist Alles, Alles gegeben, um glücklich zu sein und glücklich zu machen; warum wollt Ihr auf dieses Glück verzichten, indem Ihr die Hände in das Blut eines Elenden taucht und Das von Euch werft, was allein den Werth des Weibes bestimmt – – die Milde, die Liebe?«
»Die Liebe? Geht Sir! Ihr habt Romane gelesen; man hört es.«
Sie wandte sich um und schritt mir voran den Felsensteig hinab.
Eigenthümlich berührt von unsrer Unterhaltung, folgte ich ihr langsam nach. Wie alle Frauen, so gehorchte auch sie fast stets nur den Drange ihres Gefühles, und wie ihrer lückenhaften Schilderung des Vergangenen der Zusammenhang mangelte und man sich grad das Bedeutungsvolle, die Entwickelung ihres inneren, zwiespaltigen Wesens hinzudenken mußte, so war auch dieses Wesen in seiner gegenwärtigen Erscheinung ein unklares und der Vollendung mangelndes. Die Verhältnisse hatten die Erziehung des äußerlich so herrlichen Mädchens übernommen, und da diese Verhältnisse so verschiedenartige, so extreme waren, so durfte es mich nicht wundern, daß ich mich von ihr zeitweilig ebenso sehr abgestoßen sah, wie ich mich vorher von ihr angezogen gefühlt hatte.
Nachdem ich erst zu Swallow gegangen war, um dem braven Thiere meinen Morgengruß zu bringen, trat ich zu der Versammlung, welche rund um den jetzt an einen Stamm gebundenen Parranoh stand. Man berieth über die Art seines Todes.
»Ausgelöscht muß er werden, der Hallunke, wenn ich mich nicht irre,« meinte eben Sam Hawkens; »aber ich möchte meiner Liddy nicht das Herzeleid anthun, dieses Urtheil auszuführen, meine ich.«
»Sterben muß er; das muß so sein,« stimmte Dik Stone, mit dem Kopfe nickend, bei, »und
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