Der Gitano. Abenteuererzählungen
welches als Vorzimmer zu dienen schien, und nun folgte der Raum, welcher allen Anzeichen nach als eigentlicher Frauendivan benutzt wurde. All’ die umherliegenden Kleinigkeiten waren solche, wie sie von Frauen gesucht und gern benutzt werden.
Eine größere Ausdehnung schien der Harem außer einem noch anstoßenden Raume nicht zu haben, und das unentbehrliche Bad lag jedenfalls unten zur ebenen Erde.
»Nun siehe, ob Du den Dämon der Krankheit hier findest!« forderte mich Abrahim mit einem halb spöttischen, halb gläubigen Lächeln auf. »Ich will sehen, ob die Sonne ihr Angesicht verhüllt hat vor dem Auge des Fremden. Wage nicht, mir nachzufolgen, bis ich wiederkomme!«
Ich war allein. Wo war sie? War sie da draußen? Ganz gewiß; seine Worte waren ja deutlich genug. Wer sie doch sehen könnte, Leïlet, die Nacht, die kranke, todesmatte! Welch’ süßer, lieblicher, sinnbethörender Duft strömte und fluthete doch hier um mich! Waren das die sterbenden Wohlgerüche der hier gepflegten und verwelkten Blumen, oder war es der würzige Hauch ihres reinen, jungfräulichen Mundes, der sich bisher gegen die Küsse des Verhaßten gewehrt hatte? Es war mir so wunderbar, so märchensüß zu Muthe, gerade so, als käme eine jener Feen, wie sie in den Märchen leben, hereingeschwebt, um meine Kühnheit zu erproben, die dann gefeit ist und Alles vollbringen kann, ohne selbst Schaden zu leiden.
Mit Anstrengung mußte ich mich aus dieser Stimmung herausreißen und ließ mein Auge durch den Raum schweifen. Ich hatte ja gewußt, daß der Heerd der Krankheit hier nicht zu suchen sei, und war nur von dem Wunsche hergeführt worden, einmal das Innere eines Harems zu sehen. Es war hier ganz dieselbe Einrichtung getroffen, wie im Zimmer des Hausherrn: das Geländer, der Divan, die Nische mit den Kühlge – doch halt, halt, was ist das?
Auch hier, grad’ so wie dort, befindet sich grad’ über diesen Gefäßen ein Zuchloch in der Mauer, damit die Abkühlung des Wassers rasch vor sich gehe und auch den Nebengelassen mit zu Gute komme, und diese Oeffnung, sie führt –
Mit einigen raschen Schritten bin ich an der Mauer, neige das Auge an die Oeffnung und – ja, das ist sie, das ist Leïlet, die Nacht, die Nacht des Südens, wie sie dem Thore des Abendrothes entschweben müßte, wenn ihr der Schöpfer die Erlaubniß gäbe, in menschlicher Gestalt wieder auf die traumbedürftige Erde zu steigen! Das ist die Nacht, die himmlische, das ist Leïlet mit den dunklen, fast an der Erde schleifende, sie wie ein Schleier umwallenden Locken.
Leïlet mit dem reinen, blassen, schwermuthsernsten und doch so milden, unvergleichlich schönen Angesichte, Leïlet mit Augen so offen und groß, so tief und klar, in deren Blicke sich die ganze unberührte Unschuld eines Kindes mit dem Herzensglühen des beglückenden Weibes vermählt, Leïlet mit der weichen, herrlichen Gestalt, wie sie kaum der Meißel des Künstlers dem Marmor zu entlocken vermag, Leïlet, die thauzerfließende, die weinende, an deren Wimpern die Diamanten des Schmerzes glänzen, Leïlet – doch nein, das ist nicht eine gottgewollte Incarnation jener sterngeschmückten Göttin, deren Kommen und Scheiden der Himmel mit purpurnen Flammen und goldenen Reflexen feiert, sondern das ist ein vom tiefsten Grame zerrissenes Menschenkind, welches keinen Seufzer auf der Lippe trägt, weil sein ganzes Dasein eine einzige, ungestillte und ungehörte Klage ist.
Sie hat seinen Befehlen noch nicht Gehorsam geleistet, in der Tiefe ihres Schmerzes vielleicht noch gar nicht wieder an sie gedacht und steht nun da im leichten, sich innig an die Glieder schmiegenden Gewande, während er unter allen möglichen Drohungen sich bemüht, sie zu schnellerem Anlegen der entstellenden Hüllen zu bewegen.
Ich habe genug gesehen, trete zurück und begebe mich, um nicht den leisesten Verdacht zu erregen, auch noch zurück in das vordere Gemach. Ich habe noch nie die Liebe gekannt, habe gescherzt, gespottet und gelacht über die Schwächlinge, die ihre goldene Freiheit für einige Tage des Tändelns verkaufen, um in Ketten und beengenden Banden zu erwachen; nie sollte mein Herz anders klopfen, als unter dem Knalle meiner Büchse oder der Arbeit eines begeisternden Schaffens, und jetzt –? Ein einziger Augenblick, ein einziger kurzer Moment hat tief hinunter in das starre Herz gegriffen, um ein Leben, Knospen, Treiben, Blühen, ein Sehnen, Verlangen und Begehren zu erwecken, von dessen Dasein ich bisher
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