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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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stand ich im Bassin, hob den Mund über die Oberfläche des Wassers, schöpfte neuen Athem und zog dann aber sofort den Kopf wieder zurück, um mich erst zu überzeugen, daß ich unbemerkt sei.
    In Folge der Anstrengung aller Muskeln und der Aufregung der Athmungswerkzeuge zitterte ich heftig am ganzen Körper; doch ging das schnell vorüber, und als ich nichts Verdächtiges bemerkte, befand ich mich bald außerhalb des Wasser und schlich mich in den Schutz des dunklen Schattenstreifens, welcher sich längs der Wand hinzog.
    Ein Schreck aber blieb mir nicht erspart: bei der unausgesetzt gebückten und heftigen Bewegung war mir der Dolch entfallen. Zwar hatte ich, auch diesen Fall erwägend, nicht eine meiner besseren Waffen zu mir gesteckt, und der Verlust war also ein an sich nur geringer; kam ich aber in die Lage, mich vertheidigen zu müssen, so war er doch groß genug, um mich ernstlich besorgt zu machen.
    Zunächst schlich ich zum Thore, welches den inneren Hof von dem äußern abschloß; es war durch einen einfachen Riegel verschlossen, welcher sich leicht zurückschieben ließ. Dasselbe hatte ich auch an dem Thore bemerkt, welches sich draußen in der Mauer befand. Der Rückzug konnte also unschwer vor sich gehen.
    Ich öffnete, schlich hinaus und holte mir eine jener Stangen, welche ich heut’ gesehen hatte. Sie waren als Stützen der Bäume verwendet worden und lagen jetzt, da diese Bäume längst eingegangen waren, zerstreut umher.
    Sie war lang genug. Ich lehnte sie an die Mauer, klomm vorsichtig empor und bemerkte zu meiner großen Freude, daß das Fenstergitter nicht wieder geschlossen war. Mit einer Hand mich an der Stange haltend, schob ich die eine Hälfte leise und behutsam zurück stand nach einigen vergeblichen und gefährlichen Versuchen endlich in dem Vorzimmer.
    Aufmerksam horchend, vernahm ich die tiefen und regelmäßigen Züge eines Athmenden. Ich schlich mich näher, holte meine chemische Laterne aus der Tasche und ließ ihren phosphorescirenden Schein einen kurzen Augenblick lang auf den Schlafenden fallen.
    Es war ein altes Weib, welches, mit dem Oberkörper an die Wand gelehnt, in orientalischer Weise auf einem ausgebreiteten Teppich ruhte. Ihr Schlaf war, wie ich nach aufmerksamerem Lauschen vernahm, kein gewöhnlicher. Leïlet hatte meine Worte: »mein Trank muß Schlaf und tiefe Ruhe bringen,« wohl verstanden und der alten Dienerin einen Theil des Opiums gegeben.
    Leise, leise schritt ich nun zur nächsten, durch einen Zeugstoff verhängten Thüröffnung, schob die Portiére zurück und befand mich im tiefsten Dunkel. Wieder lauschte ich, aber nicht der leiseste Lufthauch war zu bemerken, und schon wollte ich wieder zu der Leuchte greifen, als ich bis in das tiefste Mark hinein vor Schreck erbebte, dann aber sofort von einer Seligkeit ergriffen und durchfluthet wurde, wie ich sie noch nie empfunden hatte; eine kleine, weiche, warme Hand hatte die meine erfaßt und zog mich jetzt tiefer in das Zimmer.
    »Salem aleïkum, Friede sei mit Dir!« hauchte es ganz nahe an meiner Wange. »Ich wußte, daß Du kommen würdest.«
    »Wer sagte es Dir?« fragte ich leise.
    »Dein Auge und mein Herz. Hattest Du nicht deshalb das Gitter geöffnet?«
    »Ja, ich bin’s gewesen. Aber wenn ich nicht schon heut’ gekommen wäre?«
    »Ich hätte Dich erwartet, morgen, später, zu jeder Zeit, in jeder Nacht!«
    Sie hatte mich verstanden, mir geglaubt, mir vertraut! Eine Wonne durchzitterte meine Seele, wie sie von keiner Sprache, von keiner Rede beschrieben werden kann.
    »Willst Du mit mir gehen?«
    »Ja.«
    »Bist Du sein Weib?«
    »Nein.«
    Dieses »Nein« klang so fest und energisch, daß ich seine Bedeutung in seinem ganzen Umfange fühlen mußte.
    »Wo ist er?«
    »In seinem Divan. Er schläft.«
    »Auch von der Medizin?«
    »Nein. Er ist zu klug und hätte es entdeckt.«
    »Hörtest Du mich komme?«
    »Ja. Mein Herz hat gezittert, und die Angst fesselt meine Glieder. Er kommt des Nachts sehr oft bis an die Thür.«
    »So laß uns fliehen! Wie gehen wir?«
    »So wie Du kamst; kein anderer Weg ist möglich.«
    Sie schritt in eine Ecke des Zimmers und drückte, zu mir zurückgekehrt, mir das Ende einer starken Schnur in die Hand, welche sie sich um den Leib befestigt hatte. Bei dieser Berührung bemerkte ich das angstvolle Beben ihrer Finger.
    »Wirst Du das halten?«
    »Ja.«
    In der andern Hand trug sie ein ziemlich umfangreiches Bündel, welches sie vorsichtig aus dem Fenster fallen ließ. So fest

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