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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hatte sie an mich geglaubt, so sicher hatte sie mein Kommen gewußt, daß sie vollständig zur Flucht vorbereitet war.
    Sie stieg in die Fensteröffnung. Unbewohnt einer solchen Anstrengung, konnte sie die nöthige Vorsicht nicht anwenden; eine der alten morschen Holzleisten brach mit lautem Krachen los und stürzte prasselnd hinab auf die Steine. Hier gab es kein Säumen, denn dieses Geräusch mußte man im entferntesten Winkel des Hauses gehört haben. Ich bog mich neben ihr hinaus und zog die Stange herbei. Die Angst gab ihr die nöthigen Kräfte, und an der Schnure von mir gehalten, glitt sie langsam hinab.
    Kaum aber hatte sie den Boden berührt, so hörte ich rasche Schritte sich von der Seite der Männerwohnung nahen. Ich schwang mich auf die Brüstung und sprang, die Stange gar nicht benutzend, hinunter in den Hof. Dort griff ich das Bündel auf, faßte das Mädchen am Arme und zog sie in größter Eile nach dem Thore.
    Da ertönte ein Schrei hinter uns, der aus gar keiner menschlichen Kehle zu kommen schien, und dann war es still. Aber diese Stille war eine gefährliche; er war nach Waffen gesprungen. In raschem Laufe flohen wir über den äußern Hof. Der Riegel des Thores ließ sich von unkundiger und ängstlicher Hand schwer regieren und raubte uns die kostbarsten Augenblicke. Endlich flog er zurück, aber hinter uns schnaubte auch schon der Verfolger. Noch waren wir nicht weit über die Mauerecke gekommen, als er aus dem Thore gesprungen kam. Ich zeigte nach der Stelle, an welcher ohngefähr ich Omar vermuthete.
    »Fliehe dorthin; ich werde ihn halten!«
    Er kam näher; ich sprang auf die Seite, um ihn zum Schusse zu verleiten. Es gelang. Die Kugel pfiff an mir vorüber und ich stürzte wie getroffen zur Erde. Was ich erwartet hatte, geschah: sich gar nicht um mich kümmernd, sprang er dem Mädchen nach.
    Sofort erhob ich mich wieder, flog hinter ihm her, packte ihn mitten im Laufe, so daß er zum Stehen kam, und schlug ihn, noch ehe er zu einem Entschlusse kommen konnte, mit der Faust zu Boden.
    Ich wußte, daß er schon nach wenig Secunden wieder zu sich kommen werde, auch mußten die übrigen Bewohner des Hauses ihm sofort folgen, deshalb faßte ich das Mädchen am Arme und rief laut nach meinem Diener. Aber da tauchte auch schon seine Gestalt vor uns auf. Er war bei dem Schusse aus dem Boote gesprungen, um mir zu Hülfe zu kommen. Jetzt drückte er mir vor allen Dingen den Revolver in die Hand und eilte uns dann voran.
    Er hatte, um gleich abstoßen zu können, das Fahrzeug nicht vollständig auf das Trockene gebracht. Ohne mich lange zu besinnen, nahm ich deshalb Leïlet auf die Arme und trug sie durch das Wasser. Auch das Kleiderbündel war gerettet und die größte Gefahr jedenfalls vorüber, trotzdem wir die Verfolgung jetzt wieder von Neuem hörten.
    Eben legte Omar die Ruder ein und ich zog das Steuer auf die Seite, als zwei Männer am Ufer erschienen. Es war der wieder zu sich gekommene Abrahim und der Diener, welcher uns heut’ gerudert hatte. Mit einem lauten Fluche sprang der Erstere in’s Wasser und faßte mit den beiden Händen den Rand unseres Bootes. Da aber hob Omar das eine Ruder in die Höhe und ließ es mit so wuchtigem Schlage auf die Finger des Egypters fallen, daß dieser mit einem schrillen Schmerzensschrei fahren ließ.
    Der Andere stand wie eine Bildsäule am Ufer; er schien jetzt erst zu bemerken, um was es sich eigentlich handle. Mein tapferer Haushofmeister erhob sich jetzt von der Ruderbank und rief, ihm die gravitätischesten seiner Grüße zuwinkend:
    »Warum stehst Du da, Djemmel, Kameel, und wunderst Dich? Habe ich Dir nicht gesagt, daß wir heut’ abreisen? Strecke Deine Arme aus, Du Inbegriff aller Weisheit, und ziehe den Fisch aus dem Wasser, den Du Abrahim-Arha, Deinen Gebieter nennst. Allah tröste Euch; Salem, Salem aleïkum!«
    Es war uns leicht, den Eindruck zu beobachten, welchen diese salbungsvolle Rede auf den armen erschrockenen Mann machte, denn der Morgen begann sich zu röthen, und da drüben kam auch schon eine Dahabïe herabgesegelt, in welcher ich die erwartete vermuthete. Ich hatte mich nicht getäuscht; als wir uns ihr näherten, erkannte ich Hassan, den Reïs, welcher vorn am Schnabel stand und uns zuwinkte.
    Leïlet hatte gleich nach der Besteigung des Bootes ihre Schleier umgelegt und zog sich, als wir auf dem Schiffe angekommen waren, sofort in die Kajüte zurück. Ich dagegen schritt zu Hassan, um zu erforschen, in wie weit die Mannschaft

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