Der Gitano. Abenteuererzählungen
Effendina! Willst Du ihm das Leben rauben?«
»Nein, jetzt nur die Reiherfeder, welche auf seinem Tarbusch weht!«
Ich hob’ die Büchse; der Schuß krachte, und die Feder war verschwunden. Selbst das entsetzlichste Unglück hätte den würdigen Ben Mustapha nicht so in Aufregung versetzen können, wie dieser Warnungsschuß. Er fuhr in die Luft, als beständen seine hagern Glieder aus dem besten Gummi elasticum, stürzte sich, den bedrohten Kopf mit beiden Händen haltend, unter hellem Zeder auf Abrahim zu und drängte ihn mit von der Angst verdoppelten Kräften vom Steuer hinweg. Der Sandal machte eine Wendung und hielt wieder von uns ab.
Diese Gefahr schien überstanden, aber zwei größere standen uns noch bevor. Schon seit einiger Zeit hatten wir bemerkt, daß die Wogen mit größerer Gewalt und Schnelligkeit vorwärts strebten und die jetzt felsig gewordenen Ufer einander immer näher traten. Wir näherten uns einer jener Stromschnellen, welche, mehr oder weniger gefahrdrohend für den Schiffer, dem Verkehre auf dem Nile fast unübersteigliche Hindernisse entgegenstellen. Die Feindschaft der Menschen mußte jetzt schweigen, damit sich die ungetheilte Aufmerksamkeit Aller auf das Element richten konnte. Die andere Gefahr drohte mir in einer etwaigen Untersuchung meiner Angelegenheit vor dem Richter, der ich nach der jetzigen Lage der Dinge wohl kaum entgehen konnte. Selbst wenn wir die Schnelle glücklich überstanden, waren wir früher oder später gezwungen, anzulegen, und dann brachte Abrahim den Raub jedenfalls sofort zur Anzeige.
Da ertönte die Stimme des Reïs über das Deck:
»Blickt auf, Ihr Männer, der Schellahl, der Katarakt kommt! Tretet zusammen und betet die Fathcha!«
Die Leute folgten der Weisung und beteten im Chore die erste Sure des Korans:
»Behüte uns, o Herr, vor dem von Dir gesteinigten Teufel!«
»Im Namen des Allbarmherzigen!« intonirte der Reïs und die Andern fielen ein:
»Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, zu Dir wollen wir flehen, auf daß Du uns führest den rechten Weg, den Weg Derer, die Deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg Derer, über welche Du zürnst, und nicht den Weg der Irrenden. Amen!«
Die Worte und Werke der Religion sind dem Muhamedaner keine Formeln, sondern sie sind ihm tief empfundene Wahrheit. Die kurzen Worte ergriffen auch mich mächtig. Nicht Furcht vor der Gefahr war es, was sich meiner bemächtigte, sondern Ehrfurcht vor der im tiefen Herzen eingewurzelten Religiösität dieser halbwilden Menschen, welche Nichts thun und beginnen, ohne sich Dessen zu erinnern, der in dem Schwachen mächtig ist.
»Wohlan, Ihr jungen Männer, Ihr muthigen Helden, geht an Eure Plätze,« gebot nun der Führer,»denn der Strom hat uns jetzt ergriffen!«
Das Commando eines Nilschiffes läuft nicht so ruhig ab, wie die Führung eines Fahrzeuges auf abendländischem Gewässer. Das heiße Blut des Südens rollt durch die Adern und treibt den Menschen von dem Extrem der ausschweifendsten Hoffnung herab auf dasjenige der tiefsten Verzweiflung. Alles schreit, ruft, brüllt, heult, betet oder flucht im Augenblicke der Gefahr, um im nächsten Momente noch lauter zu jubeln, zu singen und zu jauchzen. Dabei arbeitet ein Jeder mit Anspannung aller Kräfte, und der Schiffsführer springt von Einem zum Andern, um Jeden anzufeuern, tadelt die Säumigen in Ausdrücken, wie sie nur ein Araber sich auszudenken vermag, und belohnt die Andern mit den süßesten und zärtlichsten Namen, unter denen das Wort »Held« sich am meisten wiederholt.
Wir hatten uns schon heut Morgen auf das Passiren der Schnelle vorbereitet und Reservemannschaft eingenommen. Jedes Ruder war doppelt besetzt, und am Steuer standen drei Barkenführer, welche jeden Fußbreit des Stromes hier kannten.
Mit furchtbarer Gewalt rauschten die Wogen jetzt über die kaum vom Wasser bedeckten Felsenblöcke; die Wellen stürzten schäumend über das Deck und der Donner des Kataraktes übertäubte jedes Kommandowort. Das Schiff stöhnte und krachte in allen Fugen; die Ruder versagten ihre Dienst, und, dem Steuer vollständig ungehorsam, tobte die Dahabïe durch den kochenden Gischt.
Da treten die schwarzen, glänzenden Felsen vor uns eng zusammen und lassen nur noch ein Thor offen, welches kaum die Breite unseres Schiffes hat. Die Wogen werden durch dasselbe förmlich hindurchgepreßt und stürzen sich in einem dicken mächtigen Strahle nach
Weitere Kostenlose Bücher