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Der Gladiator

Der Gladiator

Titel: Der Gladiator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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dir zeigen wollen. Soll er. Laß ihn kommen. Da – der Gong.
    He, komm schon! Warum kommst du nicht? Er will dich täuschen, will dir seine Taktik aufzwingen. Gut gedacht, mein Freund; aber so bringst du Vitellius nicht zur Strecke! Warten, kommen lassen, ruhig bleiben.
    Hörst du nicht? Die ersten Buhrufe aus dem Publikum. Sie wollen, daß du kämpfst! Ah, er kommt.
    Jetzt versucht er anzugreifen. Wie tief er die Arme hält! Abducken. Bei allen Göttern, was er für Fäuste hat! Da hat er getroffen. Schmerz? Nein. Wo bietet er eine Angriffsfläche? – Keine. Tänzeln, links, rechts.
    Hörst du sie applaudieren? Sie erinnern sich an deinen Kampf gegen Spiculus. Da – in die Rippen. Warum deckt er nicht ab. Noch ein Schlag in die Rippen. Kaum Reaktion. So ist ihm nicht beizukommen! Solche Schläge kosten dich zu viel Kraft. Sein heißer Atem – ekelhaft. Vorsicht! Abducken. Gut gegangen.
    Er zielt auf dein Gesicht, sucht die Lücke in deiner Deckung, will dich bewußtlos schlagen. Er sucht einen kurzen Kampf. Soll er haben. Aber nicht er wird dich, du wirst ihn niederstrecken. Zeig's ihm.
    Da hast du einen Schlag in den Magen; mit der Linken gegen die Schulter. Ja, das schmerzt. Siehst du, wie er sich krümmt. Noch eine Rechte in den Magen. Schweiß im Gesicht. Nicht abwischen, zu gefährlich; dann schlägt er zu. Abducken – zu spät, zu spät, zu spät. Welch ein Schlag! Genau auf die Nasenwurzel. Tanzen, linkes Bein, rechtes Bein, tanzen. Wo ist der Gegner? Da – noch ein Schlag, dieselbe Stelle. Tanzen, wegstecken. Baibus! Deine Rechte ist wie ein Hammer. Da ist er wieder. War, als hätte ich ihn aus den Augen verloren.
    Hörst du die Stille im Publikum? Sie haben Angst um dich. Jetzt muß du etwas zeigen. Noch einen solchen Schlag hältst du nicht aus. Da – und da – da hast du's. Dieselbe Stelle. Noch ein Schlag in die Magengrube. Er bleibt stehen. Warum fällt er nicht um? Noch eine Rechte gegen das Kinn. Hörst du sie schreien?
    O nein, nein – du hast nicht aufgepaßt: Wieder so ein furchtbarer Schlag auf die Nasenwurzel. Es schmerzt, ich könnte brüllen vor Schmerz. Warum, ihr Götter, habt ihr mir ausgerechnet diesen Baibus geschickt!
    Dir werd' ich's geben, da – und da, noch einen Schlag gegen das Kinn. Wie seine Kiefer krachen. Ich schlage dich tot! Ich zertrümmere dir den Schädel! Reicht es dir noch nicht? Da hast du's.
    Du wolltest gegen Vitellius kämpfen, jetzt zeige, was du kannst. Ach, du hast keine Kraft mehr! Ich will es kurz machen. Noch ein Schlag an das Kinn, ein Treffer an die Stirne. Was ist das?
    Er torkelt! Baibus! Er fällt um! Baibus! Er rührt sich nicht mehr! Vitellius, du hast gesiegt! Sieg! Sieg!
    Das Geschrei auf den Rängen verebbte einen Augenblick, als erwarteten die Zuschauer, daß Baibus sich erheben würde. Doch als dieser keine Regung von sich gab, brauste der Orkan der Massen auf. Zweihunderttausend Menschen klatschten und brüllten »Vitellius! Vitellius!«, und der siegreiche Gladiator grüßte mit erhobenen Armen zu den Rängen. »Du hast es geschafft!« wiederholte Vitellius immer wieder. »Du hast es geschafft!«
    Sein Kopf drohte vor Schmerz zu zerplatzen. Wenn er die Augen gegen die Sonne zusammenkniff, schoß von der Nasenwurzel ein stechender Strahl zum Gehirn. Vitellius wagte nicht die verletzte Stelle zu berühren, weil er das Gefühl hatte, zwischen den Augen würde sich ein tiefes Loch auftun. Er winkte ins Publikum, minutenlang. Schließlich stieg er die Stufen zur Arena hinab, sich unsicher an das Geländer klammernd, weil der Weg vor ihm wie ein Stein im Wasser verschwamm. Als er den knirschenden Sand unter den Sohlen spürte, blickte er, noch immer vom Beifall umjubelt, in Richtung auf den roten Vorhang, der das Eingangsportal abschloß, und erkannte nur noch einen großen dunklen Farbfleck. Auf diesen Farbfleck ging Vitellius in aufrechter Haltung zu.
    Von den tobenden Zuschauern bemerkte niemand, wie unsicher der Gladiator einen Fuß vor den anderen setzte, wie er mit schmerzverzerrtem Gesicht die Augen rieb und sich mühsam zu orientieren versuchte. »Vitellius, Vitellius!« schrien die Römer noch immer; doch ihr Idol kämpfte verzweifelt mit einem matten Farbfleck, der ständig seine Größe veränderte, kleiner und größer wurde, und jeden Augenblick in einem milchigen Weiß zu verlaufen drohte.
    Noch dreißig Schritte trennten den Gladiator von seinem Ziel. Dreißig Schritte, bei denen niemand im Circus maximus wahrnehmen

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