Der Gladiator
versuchte Tullia ihn zu beruhigen, »wir haben gesündigt und Schuld auf uns geladen, aber Gott wird uns verzeihen.«
Mit einer heftigen Bewegung zog Vitellius die Frau an sich: »Tullia, meine Gefühle für dich sind nicht anders als damals am Fuciner See!«
Tullia löste sich abrupt aus der Umklammerung: »So darfst du nicht reden, Vitellius. Vergiß, was zwischen uns gewesen ist. Ich habe mein neues Leben Gott geweiht. Wir dürfen uns nie wiedersehen. Lebe wohl, Gott möge deine Seele erquicken.«
Sie drehte sich um und verschwand in einem der Gänge.
»Tullia!« rief Vitellius und griff nach seinem Öllämpchen. Er hörte gerade noch, wie sich ihre Schritte schnell entfernten, entmutigt stieg er nach oben, wo ihn das tausendfache Zirpen der Zikaden empfing.
In den folgenden Nächten ging Vitellius in seinem Schlafzimmer unruhig auf und ab. Beim geringsten Geräusch eilte er zum Fenster und hoffte, wieder die verschleierte Frau zu sehen, die auf dem Wege zu den Katakomben war. Aber nichts geschah. Auch das Hämmern und Klopfen hatte aufgehört. Als er Tage später in das Labyrinth der Christiani hinabstieg, war die Arbeitsstelle verlassen.
»Vitellius kämpft wieder!«
Es stand an Häuserwänden, auf den Foren der Stadt war es Tagesgespräch, und vor dem Circus maximus verkündeten es Bronzetafeln mit aufgesetzten goldenen Lettern. Die Kunde, der größte Gladiator Roms wolle nach achtjähriger Unterbrechung in die Arena zurückkehren, versetzte die Römer in Begeisterung: »Welch eine Kämpfernatur!«
Bei den hitzigen Diskussionen ging es nicht um die Frage, ob der Achtundvierzigjährige noch einen Sieg davontragen könnte, daran gab es keinen Zweifel; die Frage war vielmehr, welche Summe Geldes den Gladiator zu diesem Entschluß veranlaßt hatte. Nach den Vorstellungen der Römer mußte es eine unvorstellbare Siegesprämie sein, die Kaiser Vespasian zu den Spielen am Fest der Minerva ausgesetzt hatte.
Die Wagenrennen der Grünen gegen die Roten, der Kampf der kaiserlichen Gladiatoren gegen Stiere aus Lusitanien, die Paarung zweier germanischer Ringerinnen, all das verblaßte gegen den Faustkampf Vitellius gegen Baibus. Baibus kam aus der Gladiatorenschule von Pompeji und galt als unschlagbar. Mit dreißig Jahren hatte er dreißig Siege errungen und keine einzige Niederlage erlitten. Er dachte ans Aufhören, und dieser Kampf sollte sein krönender Abschluß sein. Wie Vitellius hatte er mit seinen Siegen als Faustkämpfer das größte Aufsehen erregt. Schnelligkeit und Härte waren seine hervorstechenden Eigenschaften – nicht anders als bei seinem Gegner.
Vitellius hatte eisern trainiert, kräftig an Gewicht verloren und seine frühere Leichtigkeit wiedergewonnen. Sein Lehrer Polyclitus ging zuversichtlich in diesen Kampf. »Wenn du glaubst, er sei stärker als du«, hatte er ihm immer wieder eingehämmert, »dann denke daran, daß er noch an den Brüsten seiner Amme hing, während du deine ersten Siege errangst.«
»Ave Caesar, morituri te salutant!« Es klang wie ein Freudengesang in seinen Ohren. Vitellius lachte, als er seine Rechte dem Kaiser entgegenstreckte. Vespasian saß zusammengesunken in seiner Loge, er war alt geworden und kränkelte. Die Freigelassene Caenis, mit der er seit dem Tod seiner Frau Flavia Domitilla das Bett teilte, umsorgte ihn rührend. Zwei Herolde mit Federbüschen auf den goldenen Helmen geleiteten die beiden Faustkämpfer zum Mittelbau der Arena. Mit jeder Treppe, die sie langsam auf die hohe Spina hinaufstiegen, wurde der Beifall lauter, das Toben ekstatischer, und oben auf der mit weißem Marmor ausgelegten Plattform drohten die Trommelfelle unter dem Gebrüll des Publikums zu platzen.
Als Vitellius seine Arme hob, schien sein Gegner Baibus, der ihm körperlich durchaus ebenbürtig war, kleiner zu werden. Kleidungsstücke und Sitzkissen flogen durch die Luft und landeten im Sand der Arena. Minutenlang verharrte der Gladiator in dieser Stellung. Baibus stand abseits.
Auf den Rängen gab es Tumulte. Das Kommando des Wettkampfleiters am Fuße des Obelisken ging im Lärm der Zuschauer unter. Fast vergaßen sie, warum die beiden Männer auf der Spina inmitten der Arena standen. Erst als Vitellius die bandagierten Arme senkte und auf die rotumrandete Kampffläche schritt, ebbte das Toben ab; endlich traten sich die beiden Gegner kampfbereit gegenüber.
Er kocht vor Wut, dachte Vitellius, sieh nur seine Augen. Er wird auf dich losgehen wie ein wilder Stier. Er wird es
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