Der Gladiator
sagte Vitellius, und nach einer Pause: »Kennst du Mitglieder dieser Sekte?« Cornelius Ponticus schwieg. »Du kannst mir die Wahrheit sagen«, bohrte der Gladiator weiter, »ich werde keinen verraten.«
Der Sekretär begann verhalten: »Nahezu jeder, der in Rom dem Sklavenstand oder den Humiliores angehört, steht in Verbindung mit den Christiani. So auch ich. Sie versprechen einem die ewige Glückseligkeit und ein Leben, das erst nach dem Tode beginnt. Sie glauben, der Tag wird kommen, an dem die Toten auferstehen …«
»Das ist wohl auch der Grund, warum sie ihre Toten nicht nach römischer Sitte verbrennen, sondern sie in unterirdischen Grabkammern beisetzen.«
Cornelius Ponticus nickte.
»Kennst du eine ihrer Begräbnisstätten?« fragte Vitellius weiter.
Der Sekretär verneinte. »Ich habe bisher keiner ihrer Aufforderungen Folge geleistet, weil ich noch immer an die Götter Roms mit ihren Tempeln und Bildwerken mehr glaube als an diesen unbekannten einzigen Gott aus einem fernen Land.«
In der folgenden Nacht stand Vitellius wieder am Fenster und wartete. Von ferne hörte er wieder das Hämmern und Klopfen. Es dauerte dann auch nicht lange, bis die ängstlich um sich blickende Frauengestalt erschien. Der Gladiator entzündete ein Öllämpchen und eilte der Unbekannten nach. Sicherer als tags zuvor stieg er die engen Stufen hinab, das Licht in seiner ausgestreckten Rechten. Er hörte, wie die Unbekannte mit den Grabungsarbeitern redete, und nun gab es für ihn überhaupt keinen Zweifel mehr: Dieser Frau war er schon begegnet.
Das Lämpchen in seiner Hand zitterte und warf einen unruhigen Schatten auf die Wand hinter ihm. Vitellius wartete in dem Raum mit den vier Abzweigungen und lauschte der angenehmen Stimme der Unbekannten, er verstand nur Wortfetzen, fromme Worte, die sie mit den Männern austauschte; endlich glaubte er Abschiedsworte zu verstehen: »Salve – lebe wohl, Tullia.«
»Tullia?«
Im nächsten Augenblick näherten sich Schritte. Der Gladiator hielt seine Öllampe wie eine Waffe weit von sich. Er dachte, die Frau würde zu Tode erschrecken; aber als sie ihn sah, blieb sie stehen und sagte ruhig: »Lobet den Herrn, unsern Gott!«
Vitellius brachte kein Wort hervor, er hob sein Licht, ging zwei Schritte auf die Unbekannte zu und zog ihr den Schleier vom Kopf, den sie lose über das Haar gelegt hatte. Er wollte schreien; doch der Ton blieb ihm im offenen Mund stecken. Er schluckte, dann stammelte er: »Tullia, Tullia!«
Die Frau schlug die Augen nieder und flüsterte, ohne ihn anzusehen: »Vitellius … ja ich bin es … Vitellius.«
»Aber Tullia«, versuchte der Gladiator die Fassung zurückzugewinnen, »aber Tullia, du …«
»Du glaubst, ein Gespenst vor dir zu sehen, weil man einst die Vestapriesterin Tullia lebend begraben hat. Zweifle nicht an deinem Verstand – ich bin es.«
»O ihr Götter, steht mir bei!« stammelte Vitellius.
»Deine Götter sind schwach«, sagte Tullia mit sicherer Stimme, »nach ihrem Willen war ich verurteilt, einen grausamen Tod zu sterben, aber du siehst, mein Gott war stärker, er hat mich errettet.«
Ungläubig, ja verzweifelt blickte der Gladiator Tullia ins Gesicht. Nein, es konnte kein Zweifel bestehen, vor ihm stand jene Frau, die als Mädchen vor mehr als fünfundzwanzig Jahren auf dem Marsfeld bei lebendigem Leib eingemauert worden war, weil sie das Keuschheitsgelübde der Vestalinnen gebrochen hatte.
»Damals«, begann Tullia, »als Unwetter und peitschende Regengüsse die Gaffer samt den Wächtern von meiner Gruft vertrieben, schickte mir Gott, der Herr, zwei Retter, zwei Christiani, die bei der Kreuzigung ihres Bruders gebetet hatten. Ich stand bis zum Hals im Wasser, da hörte ich ihre Stimmen: Möge Gott, der Allmächtige, ihrer armen Seele gnädig sein. Ich verstand die Worte nicht, ich schrie nur so laut ich konnte, ›ich will leben, ich will leben‹. Auf einmal öffnete sich die schwere Steinplatte, die Männer zogen mich heraus – es war Nacht. Sie brachten mich nach Transtiberim und nahmen mich in ihre Gemeinde auf. Jetzt gehöre ich zu ihnen. Ich bete täglich zu Gott und danke für meine Rettung, mein Leben habe ich in den Dienst der Christiani gestellt.«
Vitellius stellte seine Lampe in eine Wandnische, er faßte Tullia bei den Oberarmen, in seinen Augen glänzten Tränen. »Und das alles wegen mir«, sagte er, und ein Schluchzen schüttelte seinen gewaltigen Körper.
»Wir waren beide jung und unerfahren«,
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