Der Gladiator
fort. Hier mußte man sogar einen Löwen schleichen hören.
Die Römer fieberten der Eröffnung des Amphitheaters entgegen. Titus, der seinen Vater Vespasian auf dem Thron abgelöst hatte, verkündete auf mannshohen Edikten, die alle Straßen zierten, das flavische Amphitheater – so nannte er es nach seiner Familie – werde mit einem hunderttägigen Fest eingeweiht. Neuntausend wilde Tiere, Tiger, Elefanten, Krokodile, Nilpferde und hundert Löwen seien aufgeboten, fünftausend Gladiatoren stünden zum Kampf bereit. Ja sogar Seegefechte würden in der Arena veranstaltet. Wann hatte es das je gegeben?
Titus hatte auf die drei von seinem Vater in Auftrag gegebenen Ränge einen vierten gesetzt und sich dabei mit Eumarus, dem Baumeister, überworfen, der den schweren oberen Mauerring nur widerwillig auf die leichte Bogenarchitektur der unteren drei Geschosse setzte.
»Dieses Amphitheater«, sagte Vitellius, während er mit Polyclitus an seiner Seite zum wiederholten Male die Arena der Länge nach durchmaß, »muß das schönste Bauwerk der Welt sein. Es muß eine Freude sein, darin zu kämpfen.« Vitellius zählte leise die Schritte.
Polyclitus entgegnete: »Ich habe mich noch immer nicht mit dem Gedanken abgefunden, daß du ohne das Licht deiner Augen in die Arena treten willst. Ich meine, das ist ein Frevel gegen die Götter.«
Vitellius blieb stehen. »Die Götter haben gewollt, daß Nacht um mich werde. Warum haben sie mich nicht gleich getötet? Ein Gladiator ohne Augenlicht ist wie ein toter Gladiator. Ich will entweder kämpfen oder tot sein. Vespasian sagte, er wolle stehend sterben, wie es sich für einen Kaiser gebührt, und er verschied stehend, gestützt von seinen Freunden. Ich will, wenn die Götter meinen Tod beschlossen haben, in der Arena enden. Dort ist mein Platz, nirgendwo anders.«
Der Lanista war ein harter Mann und nicht so leicht aus der Fassung zu bringen; aber diese Worte rührten ihn tief. Er legte Vitellius die rechte Hand auf die Schulter und sah ihm in die blinden Augen: »Dein Wille ist mein Gebot – auch wenn er gegen meine Überzeugung steht.«
»Warte hier«, sagte Vitellius und gab seinem Trainer ein Zeichen, stehen zu bleiben. Staunend verfolgte Polyclitus, wie der Gladiator der Mitte der Arena zustrebte, sich um neunzig Grad drehte, sicheren Fußes auf die Umrandung zuging, die Arena zur Hälfte umrundete, sich nach links der Mitte des Ovals zuwandte und von dort geradewegs an seinen Ausgangspunkt zurückkehrte. »Unglaublich«, schüttelte der Lanista den Kopf, und als er näher kam, sagte Polyclitus anerkennend: »Du schreitest durch die Arena, als wäre sie deine Kinderstube.«
Vom ersten Rang des Amphitheaters verfolgte ein Mann die Szene ebenfalls mit Kopfschütteln, der Sekretär Cornelius Ponticus. Nur er, Polyclitus, ein griechischer Arzt und die vier Sklaven wußten von der Erblindung des Gladiators. Sie hatten Vitellius seit Wochen abgeschirmt, so daß niemand auch nur einen Verdacht schöpfen konnte. Selbst dem jungen Plinius, der den Gladiator besucht und vom Tode seines Oheims beim Ausbruch des Vesuv erzählt hatte, war das schwere Leiden entgangen.
»Er ist zu Recht der größte Gladiator Roms!« Cornelius Ponticus sah auf. Neben ihm stand Eumarus. Der Sekretär erschrak, als er merkte, daß der Baumeister den Gladiator schon seit geraumer Zeit beobachtet haben mußte. »Er versucht wohl, sich an die Ausmaße der Arena zu gewöhnen«, meinte Eumarus, und Cornelius nickte zustimmend. »Er steht im 49. Lebensjahr und ist der Ansicht, er müsse allein wegen seines Alters mehr tun als alle anderen.«
»Er wird sie alle besiegen«, meinte Eumarus, »ein Gladiator, der seinen Beruf so ernst nimmt, ist ein Geschenk der Götter. Um ihn muß man sich nicht sorgen. Seit ich seinen letzten Faustkampf sah, bin ich sogar zu der Überzeugung gelangt, daß Vitellius unbesiegbar ist.«
»Du hast seinen letzten Kampf gesehen?«
»Gewiß. Wie er die eisenharten Schläge des Baibus ohne jede Regung einsteckte, das wird mir unvergessen bleiben. Jeder andere wäre bewußtlos zusammengebrochen.«
Von ihrem Logenplatz beobachteten die beiden Männer das seltsam anmutende Training des Gladiators und seines Lanista. »Manchmal behandelt Polyclitus ihn wie ein kleines Kind«, bemerkte Eumarus.
»Wie meinst du das?«
»Sieh nur, er schiebt und schubst ihn vor sich her wie einen Tolpatsch.«
Cornelius Ponticus wurde sichtlich nervös: »Vielleicht ist gerade dies das
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