Der Gladiator
öffnete, sah er Rufus über sich gebeugt. Er preßte ein Tuch auf seine Brust. »Du bist flink«, sagte er anerkennend, »du hast es in der Hälfte der Zeit geschafft. Und wegen dem da«, er nahm das Tuch weg, »da mach dir mal keine Sorgen, das heilt wieder.«
Vitellius blickte auf seine Brust. Er erschrak: Von der einen Seite zur anderen verlief ein Schnitt. Blut quoll hervor. Sulpicius Rufus drückte das Tuch darauf. »Du bist keiner von den Stärksten«, begann er von neuem, »aber keiner ist so schnell wie du. Die Gefahr ist nur, daß du deine Wendigkeit überschätzt. Du bist ein Leichtfuß.«
»Ich gebe mein Bestes«, sagte Vitellius. Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer.
»Mag sein«, antwortete Rufus und legte, da das Tuch vollkommen mit Blut durchtränkt war, ein Handtuch auf die Wunde. »Aber in unserem Beruf ist Schnelligkeit allein gefährlich. Von ebenso großer Bedeutung ist die Besonnenheit. Ein Gegner, der deine Schwäche kennt, kann dich allzu leicht in eine Falle locken. Denke immer daran, ein Gladiator macht nur einen Fehler im Leben.«
Vitellius rang sich ein Lächeln ab, dann versuchte er aufzustehen. Als er die Tücher von seiner Brust nahm, rann das Blut in breiter Bahn über seinen Bauch, er taumelte, der Boden vor seinen Augen begann zu schwanken, schwarze Löcher tauchten vor ihm auf, er drohte hineinzustürzen, mühte sich, Haltung zu bewahren. »Pugnax«, hörte er die Stimme des Lehrmeisters aus der Ferne, »bring Vitellius in seine Zelle.« Kurz darauf spürte er den rauhen Griff seines Zellengenossen an seinem Handgelenk. Der nahm ihn wie einen Sack über die Schulter und stampfte mit dem Verletzten die schmale Treppe zum Zellentrakt empor. Eine deutliche Blutspur markierte den Weg. Vitellius konnte noch wahrnehmen, wie Pugnax die Zellentür aufstieß und ihn auf den gepflasterten Boden warf; dann fiel er in tiefe Bewußtlosigkeit.
Wer die fünf wohlgenährten, nackten Männer auf den Stufen des Apodyterions sitzen sah, hätte meinen können, es handle sich um Voyeure, die den Frauen beim Entkleiden zusehen wollten. Davon gab es nicht wenige in dem großen Ankleideraum der Agrippa-Thermen, und es war auch ein offenes Geheimnis, daß viele Römerinnen nur deshalb hierherkamen und es sichtlich genossen, vor gierigen Männerblicken ihre Hüllen fallen zu lassen.
»Seht, die da drüben vor dem Goldfisch-Becken!« Decrius Calpurnianus stieß seinen Nachbarn Titius Proculus mit dem Ellenbogen. »Ist sie nicht die Frau eines eurer Prätorianergardisten?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Trogus, »jedenfalls habe ich sie nie gesehen, aber nach der raffinierten Art zu schließen, wie sie sich auszieht, würde ich eher auf eine der zahlreichen Asellae schließen, die hier nach Beute suchen.«
»Schade«, meinte Calpurnianus, »die reizvollsten Frauen lassen sich immer bezahlen; dabei ist doch das Vergnügen auch auf ihrer Seite!«
Als Asellae wurden die ›Damen‹ des ältesten Gewerbes der Welt bezeichnet. Zwar war ihnen der Eintritt in die Thermen offiziell verwehrt, aber es gab, seit Agrippa, der Schwiegersohn des göttlichen Augustus, das Baden zum Nulltarif eingeführt hatte, keine Kassierer und Kontrolleure mehr. Und wer hätte schon mit Sicherheit zu behaupten gewagt, daß es sich bei dieser oder jener um keine Dame handelte, benahmen sich doch viele nach Stand der Abstammung ehrenwerte Römerinnen nicht anders als Dirnen aus dem Lupanar.
»Sie ist eine«, sagte Proculus, »ich möchte wetten. Sieh nur, wie sie sich in den Hüften wiegt.« Jetzt wurde auch der Senator Vergilianus auf sie aufmerksam: »Ein Prachtweib, in der Tat, ich könnte meinen Purpur für sie geben.«
»Wer wird denn für eine Frau seine Purpurwürde opfern«, ereiferte sich Proculus, der Jüngste unter ihnen. »Horaz hatte recht, als er sagte: Ach der Liebe bittere Qualen findet man zu tausend Malen.«
»Sprich mir nicht von Horaz!« wandte der nackte Senator ein. »Er ist von allen unseren Dichtern der größten einer!« entrüstete sich Proculus.
»Mag sein«, antwortete Vergilianus, »er hat viel geschrieben und wenig danach gehandelt. Er meinte, es sei süß und ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben. Das fand ich lobenswert. Als er dann zum ersten und einzigen Mal in eine Schlacht zog, warf er den Schild weg und desertierte. Das finde ich weniger lobenswert!«
»Er ist ein Dichter!«
»Ein Sprüchemacher ist er. Nicht anders als dieser Seneca. Der Kaiser hat ihn zu Recht in die Verbannung
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