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Der Gladiator

Der Gladiator

Titel: Der Gladiator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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seinem Eintritt mit einem Eid damit einverstanden, auch gebrannt, gefesselt, ausgepeitscht oder durch das Schwert getötet zu werden. Wer dies freiwillig auf sich nahm, tat dies mit dem Mut der Verzweiflung. Aber Vitellius wurde protegiert. Jeder wußte das. Deshalb haßte man ihn. Um sich durchzusetzen, mußte er sich mehr anstrengen als alle anderen, und deshalb sagte ihm Rufus eine große Zukunft voraus.
    Nicht aus Verpflichtung gegenüber Messalina, sondern aus eigener Überzeugung ließ Sulpicius Rufus dem Jüngling eine Allkampf-Ausbildung zuteil werden. Nur eine Handvoll erhielt dieses umfassende Training in allen Disziplinen – die Begabtesten. Zu ihnen zählten Pugnax und Vitellius. Pugnax, ein schwarzlockiger Kerl mit niederer Stirn, klein und gedrungen, aber stark wie ein Bär, vereinigte in sich die beiden wichtigsten Voraussetzungen eines Gladiators: Kraft und Schnelligkeit. Er war ein Doppelmörder, hatte Frau und Kind im Affekt erschlagen. Der Kaiser hatte ihn nach einem aufsehenerregenden Indizienprozeß begnadigt, weil er Nachschub brauchte für seine neugegründete Gladiatorenschule. Ein Doppelmörder in der Arena, das war ein besonderer Nervenkitzel. Keine Frage, das Publikum wünschte ihm den Tod, es wartete bei jedem Kampf darauf und wurde bei jedem Auftritt enttäuscht. Pugnax siegte immer.
    Er war jetzt dreißig Jahre alt, hatte knapp zwanzig Siege errungen und ein Bankkonto von einigen zehntausend Sesterzen, verzinst mit zwölf Prozent. Den Kontoauszug, eine silberne Marke mit dem Konsulatsjahr, seinem Namen, der Summe und dem Namen des das Konto bezeugenden Bankbeamten, trug er an einem Kettchen um den Hals. Er hätte längst aufhören und irgendwohin in die Provinz gehen können, wo man sein Vorleben nicht kannte, aber das Geld war ihm noch zu wenig. Vor allem aber wollte er eines: diesen von Messalina favorisierten Jüngling aus Bononia in den Hades schicken. Bei seinem ersten Kampf in der Arena würde er ihm das Netz überwerfen, ihm den Dreizack in den Leib rammen und diesen Schönling ein für allemal los sein.
    Pugnax ließ sein Netz über dem Kopf kreisen. Er bot nicht die kleinste Angriffsfläche. Da – plötzlich zog er das Fangnetz steil nach unten, schlug es klatschend in den Sand der Arena. Vitellius erschrak. Der kurze Augenblick genügte: Pugnax schleuderte das Netz gegen die Waden seines Gegners. Vitellius stürzte zu Boden. Im nächsten Augenblick stand Pugnax über ihm, holte mit dem Dreizack aus und rammte ihn zwei Finger breit neben Vitellius' Hals in den Boden. Pugnax spuckte in den Sand, eine Geste der Verachtung, wie er es nach jedem Sieg tat.
    »Du warst zu sehr auf Angriff bedacht!« rief Sulpicius Rufus, der das Duell mit Interesse verfolgt hatte. »Deine Chance gegen Pugnax ist nicht der Angriff du mußt den Erfolg in der Verteidigung suchen. Von fünf Angriffen endet einer mit einer Niederlage – auch beim stärksten Gegner. Das ist deine einzige Chance. Du bist kein Angreifer-Typ. Dazu fehlt es dir noch an Kraft. Steh auf! Ich sagte aufstehen!«
    Mühsam rappelte Vitellius sich hoch. An seinem Körper klebte ockerfarbener Sand. Das Gesicht war dreckverschmiert, er kümmerte sich nicht weiter darum. Er wußte, was nun folgte. »Straße der tanzenden Puppen!« kommandierte Rufus mit einer Bewegung seines Kopfes zur Seite. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, daß der Verlierer eines Trainingskampfes durch die gefürchtete ›Straße der tanzenden Puppen‹ hindurch mußte. Diese etwa zwei Meter breite, zwanzig Meter lange und von mannshohen Mauern eingesäumte Gasse war mit zehn lebensgroßen Puppen aus schwerem Eichenholz bestückt. Das Gefährliche an diesen Puppen waren ihre waagrecht ausgebreiteten Arme, an denen Messer und Schwerter steckten oder schwere Eisenkugeln hingen. Über einen Zahnradmechanismus, der an der Außenseite der Mauer in einer Kurbel endete, konnten die Puppen in Drehbewegungen versetzt werden. Die einzige Chance, unverletzt durch die ›Straße der lebenden Puppen‹ zu kommen, bestand darin, die rotierenden Folterwerkzeuge in dem Augenblick zu passieren, in dem ihre Armstellung parallel zur Straße zeigte; doch dies mußte im Bruchteil einer Sekunde geschehen. Damit sollte die Reaktionsfähigkeit der Gladiatoren nach einer Niederlage gestärkt werden.
    Rufus schlug mit einem Stock gegen einen Gong. Der Ton lähmte mit einem Schlag alle Aktivitäten. Jeder in dem weiten Rund wußte, was dieser Ton zu bedeuten hatte. Wieder einmal mußte

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