Der Gladiator

einer durch die ›Straße der tanzenden Puppen‹. Und diese zwanzig Meter Wegstrecke waren der Schrecken der gesamten Mannschaft. Zerschlagene Schädel und Gesichter, gebrochene Rippen und Arme, zerschnittene Glieder – so wurden die Gladiatoren nicht selten aus der Gasse gezogen. Wen der baumdicke Arm einer Puppe nur bewußtlos geschlagen hatte, konnte noch von Glück reden.
    »Die Thraker an die Kurbeln«, rief Sulpicius Rufus. Zehn mit Schilden und sichelförmigen Krummschwertern trainierende Gladiatoren warfen ihre Waffen in den Sand und eilten an die Kurbeln an der Außenwand der Straße. Sie warteten auf das Kommando. Rufus trat an das Ende der Gasse, wo eine Wasseruhr auf einem Pfahl befestigt war. Zwei Minuten hatte jeder Gladiator zur Verfugung. In dieser Zeit mußte er die tanzenden Puppen überwunden haben. Befand er sich nach Ablauf des Meßglases noch innerhalb der Gasse, wurde der grausame Mechanismus angehalten, er mußte wieder von vorn beginnen. Rufus zog den Pfropfen aus dem Meßglas. »Los!« rief er.
    Rumpelnd und ächzend und klagend begannen die schweren Folterwerkzeuge sich zu drehen. Vitellius hatte das träge Anlaufmoment genutzt, sich mühelos an der ersten Puppe mit den Schwertern vorbeigedrückt, die zweite mit einem kräftigen Satz überwunden, dann aber seinen Lauf gestoppt. An der Geschwindigkeit, mit der sich die Folterfiguren drehten, war die Beliebtheit des jeweiligen Gladiators abzulesen. Je schneller sie sich drehten, desto unbeliebter der Kämpfer, desto geringer war seine Chance, unverletzt aus der Gasse zu kommen. Bei Vitellius drehten sie sich rasend schnell.
    Er war unbeliebt in der Familia, obwohl andernorts den Jüngsten die größten Sympathien gehörten. Nicht nur die Protektion durch Messalina verübelte man ihm, auch daß er zu den wenigen Gladiatoren gehörte, die in allen Kampfdisziplinen einschließlich des Faustkampfes ausgebildet wurden, erzeugte Neid.
    Vitellius duckte sich. Im Rhythmus der Umdrehungen zog er den Kopf ein, schätzte genau die Zeit ab, die ihm jeweils zwischen einer halben Umdrehung blieb, schob die linke Schulter nach vorn, ein Sprung, ein Schlag, er hatte das dritte Hindernis passiert, aber von hinten einen Schlag an den rechten Oberarm bekommen. Wie ein glühender Faden schoß ein ziehender Schmerz bis in den kleinen Finger. Du bist zu langsam, dachte Vitellius, du springst um dein Leben und bist zu langsam. Schneller! Da – wieder ein Sprung. Von der vierten Puppe spürte er nur einen Luftstrom. Jetzt die fünfte. Schwere Eisen hingen an ihren Armen. Das machte die Umdrehungen langsamer, ihre Überwindung jedoch keineswegs einfacher. Er konnte sich genau in dem Augenblick vorbeizudrücken versuchen, in dem die Arme parallel zur Gasse zeigten. Die Schwierigkeit dabei war, daß er das Schwingen der schwergewichtigen Kugeln einkalkulieren mußte. Ein Stoß von einer dieser Kugeln brach dem Gladiator alle Rippen. Deshalb entschied er sich für die zweite Möglichkeit, fixierte eine der beiden Kugeln, griff mit beiden Händen nach ihr und ließ sich so durch das Hindernis ziehen. Weiter. Die Zeit drängte.
    Die sechste Puppe bot keine besondere Schwierigkeit, drehte sich allerdings schneller als alle anderen, aber sie war leichter, die Wucht ihrer Stöße daher geringer. Vitellius zögerte nicht lange, sprang geduckt unter einem Arm hindurch, sah die Lücke bei der nächsten, ein zweiter Satz, die siebte, und noch im Lauf die nächste. Von irgendwoher hörte er Schreie, er wußte nicht, ob es Schreie des Entsetzens oder der Bewunderung waren. Zwei Puppen noch, eine mit Messern bewehrt, die andere mit vier Armen. Vitellius konzentrierte sich. Aber warum in aller Welt wurden die Umdrehungen immer langsamer? Die Puppe mit den Messern blieb beinahe stehen. Ein technischer Defekt? Ohne lange zu überlegen, sprang er hindurch; doch schon beim Absprung hatte er gemerkt, daß der vermeintliche Defekt eine hinterhältige Täuschung war.
    Vitellius sah das lange Messer auf sich zukommen, versuchte, sich noch zur Seite zu drehen – die Puppe war schneller. Als wollte er sich dünner machen, riß er im Sprung die Arme hoch, er spürte, wie über den Rippen die Haut aufgerissen wurde. Schweiß brannte in der Wunde, er spürte das Blut, sah nicht hin, erblickte hinter der letzten Puppe das breit grinsende Gesicht seines Ausbilders, sprang in das Armkreuz der letzten Puppe, wurde herausgeschleudert, stolperte, sank entkräftet zu Boden.
    Als er die Augen