Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gladiator

Der Gladiator

Titel: Der Gladiator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
Narcissus stieg die mit einem roten Teppich ausgelegte Treppe herab und warf dem Gladiator den Freiheitsstab und einen Lederbeutel zu, den Lohn des Sieges. Mit einem Kopfnicken bezeugte Vitellius seinen Dank. Die Ehrengäste auf der Tribüne klatschten stehend Beifall; Konsuln, Senatoren und Priester, die angesehensten Leute Roms applaudierten ihm, Vitellius. Er sog den Beifall in sich auf wie die kühle Abendluft nach einem schwülen Tag. Dann erblickte er Tullia. Nur ein paar Schritte von ihm entfernt stand sie, schön wie eine Statue, zierlich wie Rebecca. Sie lächelte. Als Vitellius die schöne Priesterin ansah, schlug sie züchtig die Augen nieder. Ja, er sah ganz deutlich, wie ein rötlicher Schimmer ihre Wangen umspielte. Vitellius nahm allen Mut zusammen, er trat vor die Vestalin hin und verneigte sich. Tullia dankte mit einem Kopfnicken. Viele auf der Tribüne wußten, was diese Geste zu bedeuten hatte.
    Der Konsul Quintus Veranius zog den Begleiter zu seiner Rechten am Ärmel: »Du mußt wissen, Plinius, der Gladiator war zum Tode verurteilt. Auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte begegnete ihm die Vestalin, und damit ward ihm das Leben geschenkt.«
    »Welches Verbrechen sollte der Jüngling sühnen?« fragte Plinius.
    »Er soll an der Verschwörung der Messalina beteiligt gewesen sein. Doch das ist ungewiß. Möglicherweise beruhten die Anschuldigungen nur auf einer persönlichen Rivalität zwischen ihm und Pugnax …«
    »Jenem Pugnax?« fragte Plinius kopfschüttelnd und zeigte auf den See hinaus.
    »Ja«, antwortete Quintus Veranius, »der heutige Tag ist das Ende einer Todfeindschaft.«
    »Unglaublich«, sagte Plinius, »bei all meinen Kriegszügen durch Germanien bin ich keinem solchen Menschenschicksal begegnet, bei den Chaucen nicht und auch nicht bei den Chatten. Fürwahr ein Schicksal, das der Nachwelt überliefert zu werden verdient. Ich muß ihn kennenlernen, diesen Gladiator.«
    Der Konsul lachte laut: »Ich sehe schon, die Römer haben einen hervorragenden Offizier verloren und einen aufstrebenden Schriftsteller gefunden. Aber sag, Gaius Plinius Secundus, bist du nicht zu jung, um dich auf das Altenteil zurückzuziehen?«
    »Wer spricht hier von Altenteil? Der Krieg ist nicht der Vater aller Dinge, der Geist ist's, der selbst Kriege entstehen läßt. Soll man die Literatur den Alten überlassen? Ich hatte mir gerade den Bart zum erstenmal geschoren, als ich in Germanien mein erstes Werk über die Kampftechnik unserer Reiterei schrieb. Ein anerkanntes Werk; ist es schlechter, weil ich es im Alter von 23 Jahren schrieb?«
    »Gewiß nicht«, sagte der Konsul.
    »Ein Schreiber kann nie früh genug anfangen«, begann Plinius von neuem, »für ein so wichtiges Werk wie meine Naturkunde ist vielleicht sogar ein ganzes Leben zu kurz.«
    Quintus Veranius deutete auf den See hinaus, wo die Gefechte und Gladiatorenkämpfe weitergingen. Schiffe mit voller Besatzung, aber manövrierunfähig, wurden mit Katapulten beschossen, bis sie untergingen. Der Aufwand überstieg alles bisher Dagewesene. Als das Zerstören, Metzeln und Morden am späten Nachmittag schließlich ein Ende gefunden hatte, erwartete die Zuschauer noch ein Spektakel ganz besonderer Art.
    Zweitausend Sklaven, mit Schaufeln und Tragekörben ausgerüstet, machten sich eilends daran, neben der Ehrentribüne den letzten Erdwall zu durchstechen. Dann würden sich die Wasser des Sees in den Kanal ergießen; und wenn die Berechnungen der Landvermesser stimmten, würde der See bis zum letzten Rinnsal auslaufen.
    Zuerst bahnte sich ein schmales Bächlein einen verschlungenen Weg, das Wasser versickerte, noch ehe es die Kanalsohle erreicht hatte. Allmählich aber wuchs das Rinnsal zum reißenden Bach, spülte eine immer tiefer werdende Rinne in das Erdreich und brachte die Ufer zum Einsturz. Innerhalb weniger Augenblicke verwandelte sich der Bach in einen Strom, der schmutzigbraunen Schaum in den Kanal gurgelte. Die Zuschauer klatschten begeistert, weil einige Sklaven die Schnelligkeit des Wassers unterschätzt hatten und mit dem abrutschenden Erdreich in die Fluten stürzten.
    Inzwischen war der Auslauf so breit wie das Kanalbett; aber das Wasser fraß immer noch mehr Erdreich aus dem Ufer heraus, Sand und Erde stürzten nach. Auf der Tribüne begannen die Zuschauer unruhig zu werden, trennten sie doch nur noch wenige Meter von den reißenden Wassermassen. Während die Gäste in den oberen Rängen noch immer Beifall klatschten, verließen die Priester

Weitere Kostenlose Bücher