Der Gladiator
Schiffbrüchige schwimmend das Ufer zu erreichen; aber nicht einem gelang es, die Absperrung der Wächter zu passieren. Jedesmal, wenn einer dieser Unglücklichen die Schiffsabsperrung berührte, traten ihm die Aufpasser auf die Hände und versetzten mit Lanzen gnadenlos den Todesstoß. Die Zuschauer am Ufer schrien vor Vergnügen.
Vitellius und Pugnax bestiegen mit ihren Waffenträgern zwei Schiffe, die links und rechts der Tribüne festgemacht waren. Je sechzehn Ruderer, kommandiert von einem peitschenschwingenden Schiffsmeister, verliehen den nur mit einem Vorderdeck ausgestatteten schmalen Fahrzeugen hohe Geschwindigkeit und bestmögliche Manövrierfähigkeit. Ohne Rammsporn und jedwede Panzerung dienten die Schiffe den Gladiatoren lediglich als Plattform, als schwankende Arena.
Jetzt stellten sich die Kämpfer in martialischer Pose auf. Vitellius bekam sein Krummschwert, Pugnax das Kurzschwert gereicht. Wie auf ein Kommando rissen beide ihre Waffe hoch und riefen zur Tribüne hinauf: »Sei gegrüßt, Cäsar, die Todgeweihten grüßen dich!« Man sah, wie der Kaiser huldvoll die Hand hob und nach beiden Seiten grüßte. Die Frau an seiner Seite blickte teilnahmslos in den Himmel.
Während die beiden Schiffe mit ihren schwerbewaffneten Gallionsfiguren auf Deck in einem weiten Bogen auf den See hinausfuhren, entbrannte auf der Tribüne eine heftige Diskussion, wem der beiden Kontrahenten die größeren Chancen einzuräumen seien. An den Ständen der Wetteinnehmer standen die Chancen 2 : 1 für Pugnax; denn Pugnax galt noch immer als der Unbesiegbare. Anders auf den Rängen der Ehrengäste.
»Er ist kein Tiro mehr«, ereiferte sich die Gattin eines Senators, »er hat seine Rekrutenzeit hinter sich. Die Gerste hat seine Muskeln schwellen lassen, dabei ist seine Taille schlank wie die eines Schauspielers in der Rolle der Helena.«
Ihr Gemahl schien an diesen Worten keinen Gefallen zu finden. »Was für schöne Jahre gehen da verloren!« wiederholte er immer wieder. »Was für schöne Jahre gehen da verloren!«
Das brachte die Frau in Rage: »Mit dem warmen Blut des Pugnax kannst du die Fallsucht deines Bruders heilen«, rief sie erregt. Das warme Blut sterbender Gladiatoren war sehr begehrt, es galt als Universalheilmittel.
»Seine Schnelligkeit wird den Kampf entscheiden«, meinte der Konsul Quintus Veranius zu dem Begleiter zu seiner Linken, »Pugnax hat für diesen Kampf die falschen Waffen gewählt.«
»Er stand nicht mehr im Training«, warf der Begleiter ein. »Ich finde, er hat richtig gehandelt. Vitellius, der Schnellere, wird ihm nichts anhaben können, weil Pugnax zwar behäbiger wirkt, ihm aber keine Angriffsfläche bietet. Als der Erfahrenere von beiden wird er die Gelegenheit abpassen und ihm den Todesstoß versetzen.«
Der Konsul machte eine abwehrende Handbewegung. »Der Jüngling kennt seinen Gegner. Er ist intelligent und hat mehr Kraft als bei seinem ersten Kampf. Vitellius wird eine schnelle Entscheidung suchen. Schließlich weiß er ganz genau, daß die Zeit für Pugnax arbeitet!«
»Was für schöne Jahre gehen da verloren!« stellte der Senator zum wiederholten Male fest.
Eine ungewöhnlich herausgeputzte Römerin, der zwei dunkelhäutige Sklaven mit Straußenfedern Kühle zufächerten, geriet beim Anblick des jugendlichen Vitellius in Verzückung, warf ihre Sitzkissen in die Höhe und rief: »Wie ich Venus Anadyomene beneide, wenn der Jüngling zu ihr ins Wasser taucht!«
Ein Paukenwirbel verkündete den Beginn des Kampfes und ließ sofort erwartungsvolle Stille eintreten. Die beiden Schiffe der Gladiatoren lagen sich nun im Abstand von zwanzig Metern gegenüber. Zwei Sklaven reichten den Kämpfern den Schild. Gespannt warteten alle auf das Trompetensignal. Pugnax blickte konzentriert auf die Planken seines Schiffes. Vitellius warf einen Blick hinüber zum Ufer. Die Zuschauer auf den Hügeln hatten sich erhoben. Der Kaiser hing in seinem Sessel und streckte die Beine von sich, hinter ihm konnte man Narcissus erkennen, Pallas stand neben Agrippina.
Vorne in der ersten Reihe saßen die Priester, in ihrer Mitte die Vestalinnen. Vitellius glaubte Tullia zu erkennen, die ihm das Leben gerettet hatte. Kein Zweifel, auch wenn sie alle gleich aussahen mit dem weißen Schleier über dem kurzgeschorenen Haar, es mußte Tullia sein. Er erkannte ihre typische, leicht zur Seite geneigte Kopfhaltung.
Vitellius verspürte keine Angst.
Da ertönte das Trompetensignal. Die Ruder der beiden
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