Der Gladiator
Quote von 1 : 20 fürs Überleben, er hatte bereits 29 Siege errungen, 25 Gegner getötet, drei hatte der Kaiser, einen das Publikum begnadigt. Die Römer setzten auf ihn, die Römerinnen bewunderten ihn.
Ein schrilles Trompetensignal. Aber nicht ein Kampf Mann gegen Mann wurde angekündigt, sondern der Beginn des Gelages. Dem jungen Bononier gingen die Augen über: Ägyptische Sklaven trugen ein Tablett herein, größer als ein Tisch, in der Mitte kniete eine Frau als radschlagender Pfau verkleidet. Die Platte wurde abgesetzt, der schöne Pfau hob die Flügel, und unter dem blauschimmernden Federwerk kamen Schalen von Silber zum Vorschein, belegt mit den appetitlichsten Köstlichkeiten der römischen Provinzen: Lebern von Papageifischen, garniert mit Wachteleiern, Flamingozungen in Milch von Muränen, Hirn von Pfauen und Fasanen garniert mit schwarzen Oliven, gebratene Haselmäuse mit heißem Honig begossen und mit Mohn bestreut und roter Rogen von Fischen, die Neptun zwischen dem Partherreich und den Säulen des Herkules hatte heranwachsen lassen. Das waren aber nur die Vorspeisen des Gelages.
Vitellius kostete mehr mit Neugierde denn mit Appetit. Wann je im Leben hatte er Gelegenheit zu solchen Tafelrunden gehabt? Rufus verscheuchte einen Tischsklaven, der sorgsam darauf achtete, daß ein leerer Teller sofort gegen einen vollen ausgetauscht wurde, und zu Vitellius und Lycisca gewandt meinte er: »Haltet ein, denn das ist nur der erste von sieben Gängen.«
»Eine würdige Cena libera, fürwahr!« meinte Vitellius, bemerkte aber sofort, daß seine Rede deplaciert wirkte.
Unterschiedlich wie ihr Charakter gaben sich die Gladiatoren der Völlerei hin. Einige stopften die Delikatessen hastig in die bärtigen Münder, schneller als sie ihre Kauwerkzeuge verarbeiten konnten, sie würgten und rülpsten, ohne zu wissen, was sie überhaupt vertilgten. Andere kosteten die köstlichen Dinge nur mit spitzen Fingern, der Gedanke an das bevorstehende Ereignis nahm ihnen jeden Appetit, deshalb versuchten sie, ihre angstvolle Erwartung mit Unmengen von Wein hinunterzuspülen.
Die Musikkapelle versuchte mit immer schnelleren und schrilleren Melodien die Stimmung hochzuputschen. Inzwischen wurde der nächste Gang aufgetragen, ein auf dem Holzkohlefeuer goldbraun gegrillter riesiger Eber. Zur Dekoration steckte in seinem Rücken ein Dreizack, wie er von den Netzkämpfern benutzt wurde. Der Koch trat hinzu, zog ihn heraus, so daß heiße Luft aus dem Braten zischte, schließlich griff er nach einem Schwert, holte aus wie ein Henker und schlug den Eber in der Mitte entzwei. Es dampfte und brodelte, und aus der einen Hälfte quollen glänzende Blut- und Leberwürste, gebratene Granatäpfel und gekochte Damaszenerpflaumen. Die Männer an den Tischen johlten. Einige erinnerte der Anblick jedoch deutlich an das, was jedem einzelnen morgen bevorstand, sie erbrachen das Gegessene in weitem Bogen auf die Tische oder husteten das Erbrochene in den Schoß ihrer Begleiterin. Auf solche Fälle war man jedoch vorbereitet. Sklaven rannten mit Schüsseln herbei und reichten in Minze getränkte Tücher. Die anderen ließen es sich ungeniert schmecken.
Vitellius gegenüber saß ein Bär von einem Mann auf seiner Liege wie zur Salzsäule erstarrt. Er blickte ausdruckslos vor sich hin. Über seine Wangen rannen Tränen. Ein Tischsklave servierte den nächsten Gang, Geflügel; er stellte einen Teller mit ausgelöstem Hühnerbein und Feigendrosseln in gepfeffertem Eidotter vor ihn hin. Doch der Mann wischte das Essen, ohne einen Blick darauf zu werfen, mit einer Armbewegung vom Tisch, während ihm die Tränen über das Gesicht rannen. Die Umsitzenden grölten.
Während Lycisca und Rufus in ein Gespräch vertieft waren, erhob sich Vitellius und ging zu dem weinenden Gladiator hinüber. »Du fürchtest um dein Leben?« fragte Vitellius. Der Mann reagierte nicht. »Du bist kräftiger als alle anderen«, begann Vitellius von neuem. »Wovor fürchtest du dich?« Langsam, unendlich langsam drehte der Mann den Kopf zur Seite und sah Vitellius mit feuchten Augen an, er atmete schwer. »Die Kraft ist's nicht allein«, begann er zögernd, »es sind vor allem die Schnelligkeit und das Glück, die dem Retiarier zum Sieg verhelfen.«
»Warum hegst du Zweifel an Fortunas führender Hand?«
»Warum?« wiederholte der Gladiator und zeigte in das prassende, grölende Rund. »Deshalb. Jeder von denen da hofft zu überleben. Im besten Fall kommt die Hälfte mit
Weitere Kostenlose Bücher