Der Gladiator
Schuld«, antwortete Lycisca, »deine Gladiatorenkämpfe ziehen immer größere Volksmassen an«, und zu Vitellius gewandt, bemerkte sie: »Mein treuer Freund Sulpicius Rufus ist Leiter der größten Gladiatorenschule Roms, seine Retiarier sind im ganzen Reich berühmt. Niemand kämpft mit Netz und Dreizack so gekonnt wie sie.«
Sulpicius Rufus trat einige Schritte zurück und hielt die Fackel an eine Mauer, auf die mit roter Farbe eine Anzeige gepinselt war. Lycisca las langsam: »50 Gladiatoren des Sulpicius Rufus, des Leiters der Gladiatorenschule des Tiberius Claudius Nero Germanicus, und deren Ersatzmänner werden am ersten Tag der Floralien im Circus maximus gegen ebenso viele des Cn. Alleius Nigidius Maius antreten. Hoch, Sulpicius Rufus!«
Lycisca klatschte in die Hände: »Wir alle werden anwesend sein und die Todgeweihten mit lauten Rufen anfeuern.«
Rufus trat näher an die Sänfte heran: »Willst du nicht zur Cena libera kommen? Ich bin gerade auf dem Weg dorthin. Du kannst den Jüngling ja mitbringen. Es wäre eine Ehre für uns alle.«
Lycisca zögerte. Die Cena libera fand am Abend vor großen Gladiatorenauftritten statt. Im Angesicht des nahen Todes, aber möglicherweise auch eines großen Sieges, der ihnen Reichtum oder die Freiheit bescherte, feierten die Gladiatoren nach Wochen und Monaten des Darbens und der Entbehrungen ein Freß-, Sauf- und Liebesgelage, zu dem die Öffentlichkeit Zutritt hatte. Diese Veranstaltung fand zunehmende Beliebtheit, schon allein deshalb, weil es nichts Besonderes war, einen Gladiator sterben zu sehen. Aber ihn saufen oder in seiner Verzweiflung eine Frau lieben zu sehen, das war ein ganz besonderer Nervenkitzel. Da wollte auch Lycisca nicht nein sagen. »Nun gut«, meinte sie und streckte Vitellius die Hand entgegen, »wir kommen.«
Die kaiserliche Gladiatorenschule lag am Fuße des Aventin. Rufus ging mit seinen beiden Sklaven vor der Sänfte Lyciscas. Die Sklaven bahnten sich mit ihren Fackeln den Weg durch die Menge. Viele erkannten Sulpicius Rufus und klopften ihm im Vorbeigehen auf die Schulter: »Mögen Mars und Fortuna dir gnädig sein!« – »Zeig's ihnen, den weichlichen Pompejanern!« – Oder: »Wir wollen Blut sehen!« Der Chef der Gladiatoren bedankte sich, indem er die ineinander verschränkten Hände über den Kopf hob. Er war ein populärer Mann in Rom, wenngleich vom Ansehen nicht mehr als ein Schauspieler oder Bordellwirt, denen städtische Ämter versagt blieben.
Vor der Gladiatorenschule, einem langgestreckten, zweistöckigen Bau, der zur Straße nur wenige kleine Fenster hatte, drängten sich Hunderte von Menschen. Vor allem Frauen und Mädchen, grellgeschminkt und in aufreizender Garderobe, versuchten lärmend und aufgeregt, die Namen von Gladiatoren schreiend, Zugang zu erhalten. Zwei kahlgeschorene dunkelhäutige Sklaven, jeder fast so groß wie ein Memnonkoloß, wehrten mit regungslosen Gesichtern die Zudringlichkeit der enttäuschten Römerinnen ab.
Von Weinkrämpfen geschüttelt, kreischte eine etwa Vierzigjährige, die ihren Ehemann gewiß schon zu Grabe getragen hatte, mit erhobenen Händen: »Nimm mich, Pugnax, solange du noch unter den Lebenden weilst!« Eine andere wimmerte, während ihr die Schminke über das Gesicht rann: »Cycnus, Cycnus, du Gebieter der Frauen, stoße mir deinen Dreizack in den Leib, bevor ein anderer dich niedersticht!« Und eine dritte – sie mochte zwanzig Jahre alt sein und hatte ihre Löckchen turmartig hochdrapiert – seufzte hinter vorgehaltenen Händen: »O Murranus, du Medizin für die Nachtpüppchen. Nie wieder werde ich Schlaf finden.«
In der sensationsgierigen Menge sah man zahlreiche Streuner und Müßiggänger, die überall auftauchten, wo kostenlos gezecht und gefeiert werden durfte. Vor allem aber waren es Frauen, die ihre Idole ein letztes Mal sehen, sie aufrichten, sich ihnen hingeben wollten. Der Kampf um Leben und Tod, vor den Augen der Massen vieltausendmal veranstaltet, wirkte auf Frauen auf seltsame Weise sexuell stimulierend. Das Nachtlager mit einem erfolgreichen Retiarier oder Thraker geteilt zu haben, war der Lebenstraum nahezu jeder Römerin und vieler Römer. Ein Putzkommando der Gladiatorenschule mußte jede Woche einmal die obszönen Schmierereien beseitigen, die liebeshungrige Frauen nächtens an die Außenwände der Kaserne gemalt hatten.
»Platz da, ihr Säufer und Huren«, schrie Sulpicius Rufus, als sie vor dem säulenumrahmten Portal ankamen. Die Menge stob vor
Weitere Kostenlose Bücher