Der Gladiator
den Fackeln der Sklaven auseinander. Die Sänfte wurde abgesetzt. Lycisca schob die Vorhänge zurück. Ein Raunen ging durch die Reihen der Wartenden. Vitellius blickte neugierig um sich. »Komm«, sagte Lycisca und faßte den Jungen am Oberarm.
In der Eingangshalle, die festlich erleuchtet und mit roten Blumen geschmückt war, sprengten Haussklaven mit Safran vermischtes Wasser auf die Eintretenden. Alexandrinische Tafelsklaven gossen an der Schwelle zum Innenhof Schneewasser über die Hände der Gäste. Vitellius machte nach, was Lycisca vormachte, streckte seine Hände aus, schüttelte das Wasser ab und trocknete die Hände im Lockenkopf eines herbeigelaufenen kleinen Alexandriners von dunkler Hautfarbe.
Der Säulenhof, der sonst als Exerzierplatz und Übungsarena diente, war in ein riesiges Triclinium unter freiem Himmel verwandelt. Lange, mit weißen Tüchern verhangene Tische standen hufeisenförmig angeordnet. Gebannt starrte Vitellius in die grölende Runde der meist bärtigen, muskelbepackten Gestalten – es mochten wohl weit über hundert sein –, und ein Schauer überkam ihn bei dem Gedanken, daß morgen um diese Stunde der größte Teil von ihnen nicht mehr am Leben sein würde, erdolcht, zerstückelt, erschlagen, zu Tode geschleift. Vitellius schluckte.
»Heda, ihr Gerstenfresser«, brüllte Rufus in das Rund, »seht her, ich bringe euch die schönste Frau Roms.« Allmählich wurde es still. Alle gafften auf Lycisca, die diese Art von Anbetung sichtlich genoß. Auf einmal begann einer mit seinem Trinkbecher auf den Tisch zu schlagen, ein zweiter folgte, dann mehrere, und plötzlich prasselten hundert Becher auf die Tischplatten. Wein spritzte über die Tische, Obstschalen und Krüge mit roten Blumen stürzten um, Teller gingen zu Bruch. Langsam ebbte die Ovation ab. Rufus geleitete Lycisca und Vitellius zu einer Liegebank an der Frontseite der Tische, mit der Rechten gab er ein Zeichen, eine Musikkapelle begann zu spielen. Rotgekleidete Sklaven bliesen die Tabiä, doppelzüngige Rohrblattinstrumente, die einen oboenhaften Klang hervorbrachten, rhythmisch untermalt von Sistren, die ähnlich wie ein Xylophon tönten. Im Takt der Musik tänzelten aus dem Dunkel des Säulenumganges anmutige Römerinnen, die sich geehrt fühlten, die letzten Stunden im Leben eines Gladiators versüßen zu dürfen.
Lycisca lag, eingerahmt von Sulpicius Rufus zur Rechten und Vitellius zur Linken, auf dem Sofa. »Das Übliche«, stellte Rufus gelangweilt fest, »die meisten von ihnen haben seit den letzten Iden keine Frau mehr gesehen. Sie werden das zu spüren bekommen.« Einige küßten den Todgeweihten ehrfürchtig die Hände, andere umarmten demütig die Beine. Die Todgeweihten reagierten unterschiedlich: Einer machte Anstalten, seiner Verehrerin die dünne Tunika vom Leib zu reißen, während er sich in ihren Hals verbiß, andere betasteten wollüstig die ihnen dargebotenen Körperformen, nur einige wenige reagierten geistesabwesend oder hielten sich ihre Verehrerinnen mit Stößen und Püffen vom Leib. Einer schlug einer bildschönen Römerin brutal ins Gesicht, ein roter Faden Blut rann aus ihrer Nase. Manche nahmen ihr Liebchen wie einen Getreidesack auf die Schulter und trugen es über eine schmale Holztreppe hinauf zu einer Veranda, von wo zahlreiche Türen zu den engen Zellen führten, die jeweils zwei Gladiatoren bewohnten. Dies war offiziell erlaubt und wurde von der grölenden Meute im Innenhof jeweils mit Beifall und Anfeuerungsrufen begleitet.
Das Lustgestöhn der Männer, das Kreischen und Seufzen der Frauen wirkte abstoßend auf Vitellius. Lycisca amüsierte sich. Rufus bemerkte lakonisch: »Wartet, bis Bacchus seine Wirkung getan hat und das Mahl aufgetragen wird. Die Kerle haben doch seit Wochen nur Gerstenbrei gefressen; aber seht sie euch an, diese Muskeln!«
Erst jetzt erkannte Vitellius, daß sich im schützenden Dunkel des Säulenumganges noch Hunderte von Menschen aufhielten, die dieses Gelage sensationsgierig verfolgten. Sie tuschelten und drängten und zeigten mit Fingern auf die Todgeweihten, unter denen auf diese Weise deutlich Favoriten zu erkennen waren. Andere wiederum erregten nur hämisches Mitleid. Für sie stand schon heute fest, wie bei einer Niederlage die Entscheidung des Publikums in der Arena aussehen würde: Daumen nach unten, Tod. Die Wettannahmestellen um den Circus maximus herum nahmen seit Tagen Wetten auf das Leben der einzelnen Kämpfer an. Favorit war Scylax mit einer
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