Der gläserne Drache
mir!“
„Maya, willst du denn, dass wir Vier sterben müssen und Romando das ganze Land in Not und Elend stürzt? Denk daran, dass auch deine Familie darunter leiden müsste!“ Tamira ergriff beschwörend die Hände des Mädchens. „Wenn wir nicht irgendeine Möglichkeit finden, Romandos Plan zu vereiteln, wird das unweigerlich geschehen! In deiner Hand liegt es, ob es uns gelingen kann.“
Maya schwieg. Man sah ihr an, dass sie mit sich kämpfte. Einerseits wollte sie nicht, dass den jungen Leuten, die immer nett zu ihr waren, etwas geschah, und noch mehr fürchtete sie für ihre Familie, die bei Gelingen von Romandos Plan unweigerlich in Mitleidenschaft gezogen würde.
Aber sie war von Natur aus ängstlich und scheu und aufgrund ihrer Herkunft zu absolutem Gehorsam Leuten von Stand gegenüber erzogen. Nie hätte sie es gewagt, einem Befehl ihrer Herrschaft zu widersprechen.
Und nun sollte sie heimlich einen Abdruck von Magrittas Schlüssel machen! Sie erinnerte sich nur zu gut an die Worte der Hausdame, die allein für das Berühren ihres Schlüsselbundes strengste Strafen angedroht hatte. Was war, wenn Magritta sie dabei erwischte?
Schon der Gedanke daran ließ Maya den kalten Schweiß ausbrechen!
Die beiden Schwestern sahen den Zwiespalt der jungen Dienerin. „Denke auch daran, dass wir dir dreißig Taler dafür geben werden, wenn du es wagen willst und es gelingt!“ beschwor Anina sie. „Mit diesem Geld kannst du deiner Familie über lange Zeit ein gutes Auskommen sichern und du kannst sogar einen guten Arzt für deinen Bruder bezahlen. Meinst du nicht, dass es sich dafür lohnt, etwas zu riskieren?“
Maya hob den Kopf. „Ja, ich werde es versuchen!“ sagte sie nun entschlossen. „Meinem Bruder geht es sehr schlecht, und wir befürchten, dass er sterben muss, wenn nicht ein Arzt ihm helfen kann. Schon für ihn muss ich das Wagnis eingehen. Sagt mir, wann ich es machen soll!“
„Es kann nur geschehen, wenn du Magrittas Zimmer sauber machst. Sag uns, wenn sie dich das nächste Mal dazu auffordert. Einer von uns wird dann kommen, um die Hausdame abzulenken oder fortzulocken, damit du nicht von ihr überrascht werden kannst.
Nimm ein Stück der weichen Seife von einer der Wäscherinnen mit. Sie wird es dir geben, wenn du sagst, dass du einen Flecken aus einem Polster entfernen musst. Schneide die Seife in zwei Hälften. Dann kannst du den Schlüssel dazwischen legen.
Wenn du dann kräftig drückst und dann vorsichtig den oberen Teil wieder ablöst, wird der Abdruck in der weichen Masse erhalten bleiben. Achte darauf, dass du den Schlüssel behutsam aus der Seife löst, damit der Abdruck nicht zerstört wird. Dann wische ihn gut ab, damit kein Rest daran hängen bleibt, und lege ihn wieder in den Kasten zurück.
So wird Magritta nicht merken, dass ihn jemand nahm . Alles Weitere wird sich dann finden. Und nun geh‘ rasch, damit niemand sich wundert, dass du so lange in unserem Zimmer warst.“
Mit beklommenen Herzen huschte Maya hinaus, und die beiden Schwestern gingen zu Bett.
4. Eine unerwartete Erkenntnis
In den nächsten zwei Wochen rührte sich Romando nicht aus dem Haus. Jeden Morgen nach dem Frühstück ging er mit den Mädchen in die Bibliothek, um die Übungen fortzusetzen.
Es fiel den beiden schwer, ihre Fortschritte vor Romando zu verbergen, denn schon nach wenigen Tagen war Tamira in der Lage, das Bild jedweden Gegenstandes an Anina zu übertragen, auch wenn sie sich im angrenzenden Zimmer befand.
Nach zwei Wochen schien Romando jedoch mit Tamiras erreichten Erfolgen zufrieden zu sein und begann, Anina zu bedrängen, dass auch sie ihrer Schwester nun Bilder übermitteln sollte.
Anina jedoch hatte damit erheblich mehr Schwierigkeiten. Ihre Angst vor Romando und den Folgen des Gelingens dieser Übungen hinderte sie oft an der nötigen Konzentration, so dass Tamira nur Bruchstücke oder völlig falsche Eindrücke erhielt.
Als der Versuch an diesem Morgen das fünfte Mal fehlschlug, geriet Romando in Zorn. Er zog Anina aus dem Sessel hoch und schüttelte sie derb.
„Nimm dich gefälligst zusammen!“ schrie er sie an. „Wenn deine Schwester das kann, musst du das auch können! Du willst nur nicht, und wenn du dich weiter verweigerst, muss ich dich streng bestrafen!“
Anina hingen wie ein verschrecktes Kaninchen in den Fäusten des Zauberers.
„Bitte, bitte, hört auf ! Mein Kopf tut so weh!“ flehte sie.
Tamira geriet in Wut.
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