Der gläserne Drache
ermordet worden waren. Von vermissten Kindern hat nie jemand etwas erzählt“, sagte Wigo ein wenig ärgerlich.
„Traust du uns wirklich zu, dass wir dich so zum Narren halten würden? Unsere Namen haben wir nach den Buchstaben, die in unsere Windeln eingestickt waren: T für Tanis und W für Wigo. Der Vater konnte ein wenig lesen, und so hat er uns Namen mit diesen Anfangsbuchstaben gegeben.
Wie würdest du den Zufall sonst erklären wollen, dass unsere beiden Namen ausgerechnet mit denselben Buchstaben anfangen wie die der vermissten Kinder?
Und was sollte es uns bringen, dir vorzumachen, wir seien die von dir so lange gesuchten Söhne von Prios? Sollten wir es Romando erzählen? Wir schweben auch so durch ihn schon in großer Gefahr. Was aber wäre erst, wenn er von der Geschichte erführe, denn auch er weiß nicht, dass Dormas und Argana nicht unsere wirklichen Eltern sind?“
„Ja, deine Argumente sind treffend“, sagte Malux immer noch zweifelnd. „Aber ich kann es immer noch nicht so recht glauben. Mir fehlt ein wirklich greifbarer Beweis.“
Die Mädchen hatten die ganze Zeit staunend zugehört. Jetzt aber mischte sich Tamira ein.
„Was soll es bringen, jetzt einen Beweis zu bekommen, dass die beiden wirklich Prios‘ Söhne sind? Würde das etwas an ihrer oder unserer aller Lage ändern? Wir sind hier gefangen, und Romando würde seinen Plan erst recht nicht aufgeben, wenn er die wahre Herkunft von Tanis und Wigo kennen würde.
Sollten wir je die Möglichkeit haben, aus seiner Gewalt zu entkommen, mag es wichtig werden, Gewissheit zu bekommen. Dann kannst du immer noch die Eltern der beiden befragen, und vielleicht hat Argana ja sogar die Windeln aufgehoben. Würde dir das als Beweis genügen?“
„Ja, das würde es!“ nickte Malux. „Bis dahin muss ich mich halt eben mit der Hoffnung begnügen, die mir von Erugal auferlegte Pflicht möglicherweise doch erfüllt zu haben.
Mögen die Götter schenken, dass ihr eines Tages vielleicht doch euer wahrscheinliches Erbe antreten könnt und das Fürstentum Torgard wieder rechtmäßige Herrscher bekommt!“
Er zog die beiden jungen Männer an seine Brust.
„Doch nun lasst uns schnell zurückreiten. Ich setze euch am Portal ab und bringe die Pferde allein in den Stall, denn sonst kommt ihr zu spät.“
6. Konfrontationen
A n diesem Abend war Romando sichtlich verärgert. Ständig glitten seine Blicke lauernd von einem zum andern.
Malux‘ Geschichte hatte die jungen Leute natürlicherweise in innere Aufruhr versetzt, und es gelang ihnen nicht, das gänzlich zu verbergen. Sie bemühten sich zwar, sich über belanglose Dinge zu unterhalten, doch einem so aufmerksamen Beobachter wie dem Zauberer entging natürlich nicht, dass sie sich anders als sonst verhielten.
Er spürte, dass sie etwas vor ihm verbargen. Es erboste ihn, dass er keine Möglichkeit hatte, es aus ihnen herauszubringen. Einen normalen Menschen hätte er unter seine mentale Gewalt gebracht und ihm so seine Geheimnisse entrissen. Doch bei den Zwillingen wagte er nicht, sich mit Magie Zugang zu verschaffen.
Da alle vier besondere Kräfte hatten, war er sich nicht sicher, ob es ihm gelingen und wenn, ob es nicht Schaden anrichten würde. Das jedoch konnte er nicht riskieren, denn er brauchte diese besonderen Kräfte ja, um sein Ziel zu erreichen. Außerdem hatte er in seinen Büchern noch nichts gefunden, mit dem er sich gegen eine erneute Attacke der Mädchen hätte schützen können. Er war jedoch davon überzeugt, dass ein Versuch, Tamira seinen Willen aufzuzwingen, einen erneuten Wutausbruch hervorrufen würde.
Wollte er also erreichen, dass die beiden Zwillingspaare sich seinem Wunsch beugten, am nächsten Tag eine gemeinsame Verbindung zu versuchen, konnte er das nur mit Freundlichkeit bewirken.
So zog er sich, als er mit dem Essen fertig war, sofort in seine Räume zurück, da er befürchtete, ansonsten seiner Wut Ausdruck zu geben und damit die Stimmung für seinen Versuch am nächsten Morgen zu vergiften.
Erleichtert erhoben sich auch die vier Freunde, als Romando das Speisezimmer verlassen hatte. Sie eilten in den Park zu ihren Lieblingsbänken. Mit einem Ächzen warf Wigo sich auf eine der Bänke.
„Wenn er noch länger geblieben wäre, hätte ich angefangen zu schreien!“ stöhnte er. „Ich konnte diese Spannung kaum noch ertragen!“
„Ja, ich glaube, uns allen ging es so!“ sagte Tanis. „Sein Unmut lag
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