Der gläserne Drache
fast greifbar in der Luft. Ich dachte schon, dass er uns mit einem Zauberbann belegt, damit wir ihm unsere Geheimnisse erzählen. Denn dass wir etwas zu verbergen haben, ist ihm wohl kaum entgangen.“
„Ich glaube nicht, dass er das wagt!“ Die feinfühlige Anina hatte Romandos Stimmung durchaus zu deuten gewusst. „Ich spürte, dass er kurz davor war, es zu versuchen. Aber wahrscheinlich weiß er nicht, ob nicht unsere Kräfte darunter leiden würden – und die braucht er noch!“
„Trotzdem müssen wir jetzt doppelt so sehr auf der Hut sein!“ warnte Tamira. „Er wird alles daran setzen, etwas aus uns herauszubekommen.
Aber nun zu euch: Auch wenn Malux es noch nicht so recht glauben will, ich bin fest davon überzeugt, dass eure Vermutung stimmt.“
In diesem Augenblick schrie Anina leise auf: „Igitt! Seht nur, da sitzt eine Ratte! Ich hasse diese Viecher! Mehr als einmal haben sie uns auf dem Hof die Küken gefressen.“
Tatsächlich saß etwa dr ei Schritte entfernt eine große Ratte, die sie ohne sich zu bewegen mit ihren schwarzen Knopfaugen musterte. Ehe die Jungen sich jedoch erheben konnten, um das Tier zu vertreiben, sprang eine große weiße Katze hinter einem Margeritenbusch hervor, stürzte sich auf die Ratte und zerbiss ihr das Genick.
Im selben Augenblick ertönte aus dem Haus ein schriller Schrei Romandos.
Die Katze schüttelte ihre Beute noch einmal kurz und legte sie dann vor den vier jungen Leuten nieder. Dann bedachte sie alle mit einem langen Blick aus ihren smaragdgrünen Augen und sprang mit erhobenem Schwanz davon.
Entgeistert sahen sich die Freunde an.
„Was war denn das?“ fragte Tanis. „Wo kommt diese Katze her? Ich habe sie noch nie gesehen. Und was war das für ein Schrei?“
„Romando hat geschrien. Das war seine Stimme.“ Tamira schüttelte verständnislos den Kopf. „Aber warum hat er geschrien?“
Wigo schaute nachdenklich auf die tote Ratte. Dann blickte er zum Haus hinüber.
„Habt ihr bemerkt, dass Romando genau in dem Augenblick schrie, als die Katze die Ratte tötete? Ich glaube, wir vergessen alle, dass wir es hier mit einem Magier zu tun haben. Außer dass er den Bann um das Anwesen gelegt hat, damit wir nicht hinauskommen, hat er seine Fähigkeiten noch nicht an uns ausprobiert.
Aber es dürfte durchaus zu seinen Talenten gehören, e in kleines Tier in unsere Nähe zu schicken, um uns durch dieses zu belauschen, da bin ich sicher!
In dem Augenblick, als die Ratte starb, ist seine Verbindung gewaltsam unterbrochen worden. Das wird wohl nicht ohne Schmerz für ihn abgegangen sein. Daher der Schrei!“
„Aber diese Katze!“ sagte Anina. „Findet ihr es nicht seltsam, dass sie gerade im richtigen Moment auftauchte, um Romandos Lauschangriff zu beenden, bevor wir irgendetwas Wesentliches gesagt hatten? Und wie sie uns angesehen hat! Man könnte meinen, sie habe genau gewusst, welchen Dienst sie uns erwies.
Sagt was ihr wollt, aber ich finde das alles sehr merkwürdig!“
„Da bist du nicht allein“, sagte Tanis trocken. „Aber eins ist gewiss: Im Augenblick werden wir uns ungestört unterhalten können, denn ich glaube nicht, dass Romando sofort wieder das Risiko eingehen wird, uns einen neuen Lauscher zu schicken.“
Die Vier setzten sich wieder nieder, um erneut das Thema der Herkunft der Brüder zu erörtern. Doch da erschien Magritta auf der Terrasse und rief sie hinein. Missmutig folgten sie dem Ruf, denn ihnen war klar, dass Romando ihnen dadurch die Möglichkeit nehmen wollte, sich weiter ungestört zu besprechen.
Sobald sie das Haus betraten, schickte die Hausdame sie ohne weitere Erklärung auf ihre Zimmer. Der Blick, mit dem sie die Freunde bedachte, war keineswegs freundlich, da sie wusste, dass die Verärgerung ihres geliebten Herrn ihren Grund nur bei den Vieren haben konnte.
So drehte sie sich ohne Gute-Nacht-Gruß um und verschwand.
*****
Am nächsten Morgen beim Frühstück zeigte Romando ein Gesicht, das nicht im Mindesten auf seine Wut vom Vortag schließen ließ.
Aber im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit, die Zwillingspaare separat zu schulen, beorderte er anschließend alle vier in die Bibliothek.
Als alle in den bequemen Lehnstühlen saßen, sagte er:
„Es ist nun an der Zeit, dass ihr lernt, eure Kräfte miteinander zu verbinden. Da ich in ein oder zwei Tagen hinauf zur Burg muss und dort auch für längere Zeit verweilen werde, müsst ihr
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