Der gläserne Schrein (German Edition)
schrak zusammen, als es leise an der Tür klopfte.
«Frau Marysa? Geht es Euch wohl?», drang die besorgte Stimme ihres Gesellen Leynhard zu ihr ins Kontor.
Marysa atmete mehrfach tief ein, um sich zu beruhigen, ging gemessenen Schrittes zur Tür und öffnete sie. «Ja, Leynhard, es ist alles in Ordnung. Gibt es etwas?», fragte sie so gefasst wie möglich.
Leynhard musterte sie aufmerksam und lächelte verlegen. «Ich wollte … wenn es Euch recht ist … Darf ich mit Euch sprechen? Allein?»
«Worum geht es denn, Leynhard?», fragte Marysa, nachdem sie ihm erlaubt hatte, das Kontor zu betreten und die Tür hinter sich zu schließen. Sie ahnte bereits, weshalb er hier war, und überlegte fieberhaft, was sie ihm sagen sollte. Die Frage, die er ihr stellte, verblüffte sie dann aber doch im ersten Moment.
«Wer hat diesen Deckel angefertigt?»
Erst jetzt bemerkte sie, dass Leynhard eine von Christophorus’ Schnitzarbeiten in der Hand hielt, die sie in einer Truhe im Lagerraum deponiert hatten. Sie nahm sie ihm aus der Hand und betrachtete sie eingehend, obwohl sie sie ja bereits kannte.
«Von mir stammt sie nicht», sagte Leynhard. «Wenngleich ich wünschte, so geschickt mit dem Schnitzmesser umgehen zu können. Auch Heyn hat diesen Deckel nicht angefertigt. Er benutzt eine ganz andere Schnitztechnik.»
Marysa nickte und legte sich ihre Antwort in Gedanken sehr genau zurecht. «Es stimmt, Leynhard, dies hat ein anderer Schnitzer gemacht. Ein Mann aus Frankfurt, den ich», sie zögerte nur ganz kurz, «kürzlich kennengelernt habe. Er hat sich angeboten, für den Auftrag des Marienstifts bei uns auszuhelfen.»
«Ein Wandergeselle?», fragte Leynhard. «Der Mann hat großes Talent. Wenn er uns wirklich helfen will, ist uns der Auftrag des Stifts ganz bestimmt sicher. Wie heißt er, und warum habt Ihr uns nichts von ihm erzählt?»
Nun wurde Marysa doch ein wenig unsicher. Wie viel konnte sie sagen, ohne sich in ein Gewirr von Lügen zu verwickeln? «Ihr alle werdet ihn sicher bald kennenlernen, Leynhard. Sobald wir eine Übereinkunft getroffen haben … Aber in den letzten Tagen hatte ich einfach keine Zeit, mich darum zu kümmern.»
Leynhard schien diese Erklärung zu genügen, denn er nickte verständnisvoll. «Die letzten Wochen waren nicht leicht für Euch, Frau Marysa. Gottlob ist Meister Goldschläger wieder freigelassen worden. Geht es ihm gut?»
Marysa nickte, dankbar für den Themenwechsel. «Er muss sich noch von seiner schweren Erkältung erholen. Wie du dir sich denken kannst, sorgt meine Mutter sehr gut für ihn.»
«Das freut mich zu hören.» Leynhard lächelte und senkte dann vertraulich die Stimme. «Wenn er wieder ganz genesen ist, wäre vielleicht auch der Zeitpunkt gekommen, nun ja …» Er trat einen Schritt auf sie zu. «Vielleicht sollte ich dann endlich offiziell bei ihm vorsprechen … wegen Euch, meine ich. Also …» Er nahm zaghaft ihre Hand, und sie zwang sich, sie ihm nicht sofort zu entziehen. «Habt Ihr inzwischen über meinen Antrag nachgedacht? Ich weiß, Ihr hattet anderes im Kopf, aber ich denke, so wie die Dinge liegen, solltet Ihr Euch bald entscheiden. Die Werkstatt braucht einen Meister!» Er drückte ihre Hand leicht. «Ich weiß, dass Euer Vetter alles versucht, Euch unter Druck zu setzen. Wenn Ihr mich heiraten würdet, könnte er nicht mehr …»
«Ich weiß, Leynhard.» Vorsichtig entzog sie ihm ihre Hand, bemühte sich dabei aber um ein freundliches Lächeln. «Lass mir noch ein wenig Zeit. Ich … Du kannst sicher sein, dass ich deinen Antrag sehr zu schätzen weiß. Aber ich möchte nichts überstürzen.» Sie trat zur Tür und öffnete sie. «Bitte lass mich jetzt meine Arbeit tun.»
***
Jolánda staunte nicht schlecht, als Christophorus sehr früh am nächsten Morgen vor ihrer Tür stand und um Einlass bat. «Kommt in die Stube», forderte sie ihn auf. «Es ist schrecklich kalt und ungemütlich draußen, nicht wahr?» Sie streckte die Hand aus, um seinen Mantel entgegenzunehmen. «Was führt Euch zu uns, Bruder Christophorus?»
Langsam schob Christophorus seine Kapuze vom Kopf und streifte dann den Mantel von den Schultern.
Jolánda stieß einen überraschten Laut aus und starrte ihn mit großen Augen an. Christophorus nickte ihr mit ausdruckslosem Gesicht zu. «Ich muss mit Euch reden, Frau Jolánda. Mit Euch und Meister Goldschläger.»
Noch immer irritiert, führte Jolánda Christophorus in die Stube und bot ihm einen Sitzplatz an. «Ich
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