Der gläserne Schrein (German Edition)
angenommen?»
«Nein, noch nicht.»
«Warum zögert Ihr?» Bungart schob geräuschvoll seinen Stuhl zurück und stand auf. «Tut, was gut für Euch ist, Frau Marysa, das rate ich Euch. Meister Schrenger hat ganz recht damit, sich um Euch zu sorgen. Ihr scheint tatsächlich äußerst starrsinnig zu sein.» Damit verließ er den Raum. Meister Snackart und Meister Alberich sahen einander schweigend an, dann wandte sich Alberich wieder an Marysa. «Nehmt es ihm nicht übel. Er war von Anfang an sehr ungehalten darüber, dass Ihr so lange zögert, Euch wieder zu verheiraten. Ganz unrecht hat er nicht. Eine Frau sollte, gerade wenn sie so jung und hübsch ist wie Ihr, nicht zögern, sich einem rechtschaffenen Mann anzuvermählen.» Er nickte ihr freundlich zu. «Ihr seid klug, das weiß ich. Ich werde sicher in Kürze von Euch die Mitteilung über Eure offizielle Verlobung erhalten, nicht wahr?»
Marysa nickte schweigend und wandte sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen. Kaum hatte sie das Zunftgebäude verlassen, da platzte es auch schon aus ihr heraus: «Das kann nicht wahr sein! Dieser Hartwig ist der bigotteste und …»
«Schsch!» Christophorus legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. Rasch blickte er sich um und stellte fest, dass niemand sie belauschen konnte. «Was ist denn geschehen?»
Marysa blitzte ihn wutentbrannt an. «Hartwig hat es geschafft, die obersten Zunftmeister und den Greven davon zu überzeugen, dass ich heiraten muss. Und zwar möglichst sofort, sonst sorgen sie dafür, dass Scheiffart mir den Auftrag über die Schreine wieder entzieht.»
Christophorus schwieg einen Moment. Schließlich antwortete er ruhig: «Damit hättest du rechnen müssen, Marysa. Du musst möglichst bald wieder heiraten. Ich dachte, dass auch dir das längst klar geworden ist.»
Zornig starrte sie in sein Gesicht. «Das wagst du mir zu sagen? Nach allem, was gewesen ist?» Sie schüttelte den Kopf und kämpfte mit den plötzlich aufsteigenden Tränen. «Geh mir aus dem Weg!» Sie stieß ihn beiseite und rannte an ihm vorbei über den Marktplatz in Richtung Kreme.
Christophorus ließ sich Zeit, ihr zu folgen. Er konnte verstehen, dass sie aufgebracht war, weil Hartwig es offenbar verstanden hatte, die Zunftmeister für seine Interessen einzuspannen. Andererseits war es nur natürlich, dass die Zunft sich einmischte. Eine Werkstatt ohne Meister war einfach nicht akzeptabel, auch wenn die Arbeit, die dort geleistet wurde, noch so hochwertig war.
Langsam ging Christophorus über den vereisten Marktplatz und blieb dann am Marktbrunnen stehen. Schweigend betrachtete er den Dom. Sein Blick schweifte dabei über die wenigen Kaufleute und Bauern, die heute der Kälte trotzten und ihre Waren feilboten.
Die Idee, die sich in den vergangenen Tagen in seinem Kopf langsam zu einem Plan geformt hatte, war sicherlich gewagt. Auch würde er sie nur ausführen, wenn er sich Marysas Einverständnis sicher war. Zwar spürte er, dass sie seine Gefühle erwiderte, doch ihr Vertrauen hatte er längst noch nicht gewonnen. Dazu würde es auch mehr bedürfen als einer gemeinsamen Nacht, so leidenschaftlich sie auch gewesen war.
Kurz bevor er in die Kreme einbog, blieb er stehen. Eine Böe des wieder leicht auffrischenden Windes fuhr ihn von hinten an und drückte die Kapuze seines Mantels nach oben. Sorgsam zog Christophorus sie sich über den Kopf. Mit festen Schritten schlug er die entgegengesetzte Richtung ein.
***
Zu Hause angekommen, schloss Marysa sich in ihrem Kontor ein und versuchte, einige geschäftliche Briefe zu verfassen. Sie gab dieses Unterfangen schon bald wieder auf, stützte den Kopf in die Hände und starrte auf die Tischplatte. Ihr Leben, das empfand sie mehr als deutlich, hatte sich seit der vergangenen Nacht vollkommen verändert. Sie konnte sich ihren Gefühlen für Christophorus nicht mehr verschließen. Doch welche Zukunft konnten sie schon haben? Er hatte sich ein Leben erschaffen, in dem für eine Frau kein Platz war. Selbst wenn er wollte, konnte er nicht einfach aufhören, Bruder Christophorus zu sein und sich so ohne weiteres wieder in Christoph Schreinemaker, den Tischlergesellen, verwandeln. Die Menschen in Aachen kannten ihn schließlich. Niemand würde ihm die Verwandlung abnehmen.
Verzweifelt presste sie die Lippen zusammen und zwang sich, das Schluchzen, das in ihrer Kehle hochsteigen wollte, zu unterdrücken. Niemand, sagte sie sich, niemand würde es je glauben. Es hatte keinen Sinn.
Sie
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