Der gläserne Schrein (German Edition)
besorgt. Seine Miene entspannte sich jedoch sofort wieder, als er sicher war, dass es ihr gut ging. «Heute Nachmittag war Gort Bart hier», berichtete er. «Er hat Euch ein Geschenk gebracht. Es liegt auf dem Tisch in der Stube.»
«Ein Geschenk?» Marysa zog ihren Mantel aus und eilte in die Stube. Dort erblickte sie tatsächlich eine hübsche Schatulle mit Messingschloss. Misstrauisch beäugte Marysa sie.
«Er lässt Euch ausrichten, es sei ihm ein Liebesdienst, Euch dies zu überbringen», sagte Grimold hinter ihr. In seiner Stimme schwang leiser Spott mit.
Marysa blickte ihn über die Schulter an, dann öffnete sie die Verriegelung des Schlosses und klappte den Deckel hoch. Ein überraschter Laut entfuhr ihr, als sie den Seidenstoff darin erblickte. Hellgelb mit weißen Stickereien. Sehr hübsch, das musste sie zugeben. Mit spitzen Fingern zupfte sie daran und nahm den gefalteten Stoff schließlich heraus. Es handelte sich um eine Haube mit Schleier. Am Boden der Schatulle erblickte sie ein dazu passendes schmales Silberschappel sowie Haarnadeln. Kopfschüttelnd betrachtete sie diese angebliche Liebesgabe, dann faltete sie die Haube rasch wieder zusammen und verstaute sie ordentlich. Den Deckel der Schatulle schloss sie sorgfältig und wandte sich erneut an Grimold. «Bring das Geschenk morgen wieder zurück zu Hartwig.»
«Aber Herrin, nicht Hartwig hat Euch dies …»
«Ach was», unterbrach Marysa ihn unwirsch. «Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass Gort jemals auf die Idee käme, mir eine solche Haube zu schenken. Er könnte sie sich gar nicht leisten. Wenn ich sie annehme, wird Hartwig das als Einverständnis werten, seinen Vetter zu heiraten. Das werde ich auf gar keinen Fall tun.»
Grimold nickte. «Ich bringe die Kiste gleich morgen weg», versprach er. «Braucht Ihr noch etwas, Herrin?»
«Nein, Grimold. Leg den Riegel vor die Tür, ich gehe jetzt zu Bett. Du solltest dich auch schlafen legen.»
«Aber Bruder Christophorus ist noch nicht zurück», wandte Grimold ein. «Soll ich nicht warten, bis er heimgekehrt ist?»
Erstaunt sah Marysa ihn an. «Er ist jetzt noch unterwegs?» Kurz knabberte sie an ihrer Unterlippe. Wo mochte der Dominikaner sich um diese Zeit wohl herumtreiben? «Schließ ab, Grimold, und leg dich schlafen», antwortete sie schließlich. «Er wird sich schon bemerkbar machen, wenn er ins Haus will.»
***
Der Nachmittag mit Gizella und ihrer Gauklertruppe hatte Christophorus tatsächlich für eine Weile abgelenkt. Er genoss die ungezwungene Gemeinschaft seiner langjährigen Weggefährten. Bei ihnen hatte er nicht ständig das Gefühl, sich verstellen zu müssen, obgleich er auch bei ihnen die Fassade des Dominikanerbruders aufrechterhielt. In der Gauklertruppe drehten sich die Gespräche hauptsächlich um Dinge des täglichen Lebens. Von den Vorfällen in der Chorhalle hatten seine Freunde freilich ebenfalls gehört, doch kümmerten sie sich nicht weiter darum, da es sie nicht betraf.
Christophorus fühlte sich so wohl, dass er die Truppe am Abend zu einem guten Mahl in einer nahe gelegenen Taverne einlud. Dabei stellte er fest, dass sich seine Geldkatze bedenklich geleert hatte. Das bedeutete, dass er entweder in Kürze einen Geldwechsler aufsuchen oder aber endlich wieder sein Geschäft mit den Ablassbriefen aufnehmen musste, welches er seit seiner Ankunft in Aachen sträflich vernachlässigt hatte.
Nachdem sie noch eine ganze Weile gesättigt und zufrieden beieinandergesessen hatten, beschloss Christophorus, den Heimweg anzutreten. Estella hielt ihn jedoch mit vielsagendem Augenaufschlag zurück und bat ihn, sie zur Herberge zu begleiten. Ihrem unausgesprochenen Angebot nicht abgeneigt, fand er sich deshalb kurz darauf in ihrer winzigen Kammer wieder, in der nur Platz für ein schmales Bett und die Kleiderkiste war. Die Beengtheit nahm Estella zum Anlass, sich an ihn zu schmiegen, sobald die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte. «Ich dachte schon, du lässt mich noch länger warten», raunte sie ihm ins Ohr, während ihre Hände sich am Verschluss seines Mantels zu schaffen machten und ihn ihm schließlich von den Schultern schoben. Mit einem Rascheln glitt das Kleidungsstück zu Boden. Estella trat einen Schritt zurück und legte ihren Kopf in den Nacken, um ihn mit glitzernden Augen anzusehen. «Du wohnst diesmal nicht bei den Dominikanern in der St.-Jakob-Straße», sagte sie und begann, ihr Kleid aufzunesteln.
«Nein, diesmal nicht», bestätigte
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