Der gläserne Schrein (German Edition)
– zumindest hatte er sich das lange Zeit eingeredet. Unwillig schüttelte er den Kopf und beugte sich wieder über Estella. «Lass uns das Thema wechseln», bat er und küsste sie. Doch die Erinnerung an Marysa drängte sich mit Macht vor sein inneres Auge, sodass er sich kaum noch auf Estella konzentrieren konnte, die ihm gerade mit flinken Fingern die Bruoch von den Hüften schob. Verzweifelt küsste er sie und drängte sich an ihren zierlichen Leib. Er spürte sie vor Wonne erschauern, aber die Reaktion seines eigenen Körpers war allzu deutlich. Abrupt ließ er von ihr ab und drehte sich mit einem verärgerten Laut auf den Rücken.
Verwundert hob Estella den Kopf und stützte sich auf ihrem Ellenbogen ab. «Was ist los?», fragte sie, während sie ihn leicht an der Schulter berührte. «Stimmt etwas nicht?»
Schweigend starrte Christophorus an die Decke der Kammer. Durch den Schein der kleinen Talglampe tanzten Schatten über die Risse im Putz. «Es ist nicht … Es hat nichts mit dir zu tun.» Aufgewühlt fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar, dann richtete er sich ebenfalls auf und betrachtete aufmerksam Estellas Gesicht. Ihr schwarzes Haar und ihre dunklen Augen, gepaart mit ihrem sonnengebräunten Teint, unterstrichen ihre fremdländische Schönheit. Ihm wurde bewusst, dass er nicht einmal wusste, woher ihre Vorfahren stammten. Er hatte sie nie danach gefragt. An ihrem Hals sah er eine Ader im Takt ihres Herzschlags pulsieren. Zögernd hob er die Hand und berührte sie dort ganz sanft. Schließlich schüttelte er resignierend den Kopf.
Estella umfasste seine Hand, bevor er sie wegziehen konnte, und drückte sie kurz gegen ihre Wange. Dann ließ sie sie wieder los. «Es ist wegen dieser Marysa, nicht wahr?», fragte sie und blickte ihn mit wissendem und gleichzeitig wehmütigem Blick an. «Du kannst nicht mit mir zusammen sein, wenn du dabei an sie denken musst.» Mit einer raschen Bewegung setzte sie sich auf und begann sich anzukleiden.
«Es ist nicht so …», begann er und wollte ihren Arm umfassen, aber sie entwand sich ihm.
«Doch, genau das ist der Grund dafür, dass du dich von mir zurückziehst», sagte sie. «Es ist gut so, denn ich will nicht der Ersatz für sie sein.» Sie stand auf und verschloss die Nesteln ihres Kleides.
Christophorus richtete seine Bruoch und griff ebenfalls nach seinen Kleidern. Nachdem er sein Habit schweigend übergestreift und den Gürtel über dem Skapulier geschlossen hatte, ließ er sich erneut auf die Bettkante sinken. Er stützte den Kopf in seine Hände. «Es tut mir leid, Estella. Ich wollte das nicht. Du bist … Ich weiß nicht, was mit mir los ist.»
Traurig und zugleich mitleidig blickte Estella auf ihn herab, dann setzte sie sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf den Rücken. «Wirklich nicht?», fragte sie. Er versteifte sich unter ihrer Berührung, doch sie nahm ihre Hand nicht fort. «Ich glaube, du weißt es sehr wohl, Christophorus. Aber du wehrst dich dagegen. Warum?»
Verstört sah Christophorus sie von der Seite an. «Ich bin Dominikaner …»
Estella gab einen beinahe amüsierten Laut von sich. «Vielleicht wird es langsam Zeit, dass du deine Maske fallen lässt.»
Nun starrte er sie entsetzt an. «Du weißt …?»
Estella blickte ihn nachdenklich an. «Ich weiß nicht, wer du in Wahrheit bist, Christophorus. Aber eines wusste ich von dem Tag an, als ich dich zum ersten Mal sah: Du bist kein Mönch.»
***
Mit zusammengekniffenen Augen versuchte Marysa, in der nächtlichen Dunkelheit etwas zu erkennen. Das war nicht Christophorus dort unten, so viel stand fest. «Wer ist da?», raunte sie.
«Liebste Marysa», flüsterte eine Männerstimme von unten. «Ich muss mit Euch sprechen.»
Marysa runzelte die Stirn. «Gort? Was …?»
«Bitte kommt hinunter in den Hof. Ich möchte …»
«Auf gar keinen Fall!» Entrüstet wollte Marysa schon den Fensterladen wieder zuknallen.
«Wartet!», rief Gort viel zu laut. «Ich möchte Euch einen Vorschlag machen!»
«Still!», zischte sie erbost, und da sie fürchtete, er könnte womöglich noch lauter werden, flüsterte sie: «Moment.»
Sie schloss den Fensterladen, zog den Gürtel ihres Hausmantels fester und band sich rasch eine Haube wie ein Kopftuch um. Mit ihrer Öllampe stieg sie leise die Stiege hinab. Die Stufen knarrten wie immer, doch niemand im Haus schien sie zu hören.
Als sie die Hintertür entriegelte, stand Gort bereits davor. Er trug einen Kienspan, der nur wenig
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