Der gläserne Schrein (German Edition)
Vorteil, wenn wir etwas mehr Zeit für den Bau der Schreine haben. Wir liefern bis Januar den ersten Schrein, und Ihr gebt mir Bescheid, wann ihr den Rest erhalten möchtet.»
Der Kanoniker atmete sichtlich erleichtert auf. «Ich bin froh, dass Ihr es so seht, Frau Marysa.» Er zog ein gefaltetes Schreiben aus seinem Ärmel. «Wäret Ihr damit einverstanden, als Anzahlung diesen Wechsel anzunehmen, den uns Abt Winand von Kornelimünster ausgestellt hat?»
Marysa nahm das Pergament, entfaltete es und warf einen Blick auf die Summe, über die der Wechsel ausgestellt war. Als sie den Kopf wieder hob, lächelte sie. «Selbstverständlich nehme ich diesen Wechsel an, Herr van Weyms. Bitte richtet Herrn Scheiffart und dem Dechanten meinen Dank und die besten Grüße aus.»
***
«So langsam bereitet mir diese Angelegenheit Kopfzerbrechen», sagte Christophorus am Abend nach dem Essen zu Marysa. Sie war ihm auf seine Bitte hin in seine Kammer gefolgt, wo er nun auf einem Hocker saß und mit einem feinen Schaber ein weiteres Rankenmuster für den Deckel des ersten Schreins bearbeitete. Marysa bewunderte insgeheim die Präzision, mit der er selbst winzigste Späne aus dem Holz zu lösen verstand, kam aber nicht umhin, dabei auch seine schmalen und dennoch kräftigen Hände zu bemerken. Deshalb konzentrierte sie sich lieber auf das, was er gesagt hatte.
«Habt Ihr etwas Neues herausgefunden?», wollte sie wissen.
Christophorus nickte, schüttelte aber gleich darauf den Kopf. «Wie man’s nimmt», antwortete er nachdenklich. «Ich bin in den letzten Tagen mehrfach absichtlich ziellos durch die Stadt gewandert, weil ich herausfinden wollte, ob dieser Ludwig mir noch immer folgt.»
«Und, tut er es?»
«Zumindest zeitweilig habe ich ihn in meiner Nähe bemerkt. Zweimal konnte ich ihn abschütteln. Als ich später bei Hyldeshagens Werkstatt vorbeiging, sah ich Ludwig dort seine Arbeit verrichten.»
«Also folgt er Euch nur, wenn er gerade Zeit hat», folgerte Marysa. «Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass Hyldeshagen ihm den Auftrag dazu gegeben hat, denn dann würde er ihn nicht gleichzeitig in der Goldschmiede arbeiten lassen. Wenn Ludwig herausfinden soll, was wir wissen, wäre es sinnvoller, uns – oder vielmehr Euch – ständig im Auge zu behalten.»
«Ihr vergesst dabei aber», widersprach Christophorus, «dass Hyldeshagen nach dem Anschlag in der Chorhalle ein Geselle fehlt. Er arbeitet mit fast all seinen Männern auf der Baustelle, aber sicher muss er auch noch andere Kunden bedienen. Er wird es sicher für notwendig erachten, dass Ludwig wenigstens einen Teil des Tages arbeitet.» Christophorus legte den Schaber beiseite und griff nach einem schmalen, spitz zulaufenden Messerchen. «Das ist es aber gar nicht, was mich so erstaunte.»
«Sondern?»
Er ließ Messerchen und Holz sinken und blickte Marysa bedeutungsvoll in die Augen. «Es scheint, als werde auch Hyldeshagen beobachtet.»
«Wie bitte?» Marysa starrte verblüfft zurück.
«Seine Werkstatt wird beobachtet», wiederholte Christophorus. «Zumindest hatte ich diesen Eindruck, denn jedes Mal, wenn ich dort vorbeikam, drückte sich ganz in der Nähe ein auffällig zerlumpter Bettler herum.»
«Was meint Ihr mit auffällig zerlumpt?», hakte Marysa sofort nach.
Christophorus legte das Holzstück auf den Tisch. «Nun», antwortete er gedehnt, «er trägt Kleider, die mit Sicherheit der Lumpensammlung entstammen. Was nicht dazu passt, sind die gefütterten Stiefel. Er hat sie zwar mit Stofflappen umwickelt, doch wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass es sich um feines Leder handelt.»
«Vielleicht hat er sie gefunden oder jemandem gestohlen», schlug Marysa vor.
«Möglich», sagte Christophorus. «Möglich wäre aber auch, dass jemand etwas gegen die Aachener Goldschmiede im Allgemeinen hat. Wenn dieser Jemand nun Ludwig gedungen hat, mich zu verfolgen, und den Lumpenmann auf Hyldeshagen angesetzt hat …»
«Halt!» Marysa schüttelte den Kopf. «Dann wäre es viel einfacher gewesen, Ludwig auf seinen Meister anzusetzen. Mit ihm kommt er tagtäglich zusammen.»
Christophorus nickte zustimmend, seine Miene drückte aber Besorgnis aus. «Das ist es ja, was mir Kopfzerbrechen bereitet. Es passt nichts zusammen.»
***
Es passte nichts zusammen, da hatte Bruder Christophorus recht, dachte Marysa, als sie sich kurz darauf in ihre eigene Kammer zurückzog. Das traf nicht nur auf die Vorfälle um die Chorhalle zu, sondern auch auf den
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