Der gläserne Schrein (German Edition)
wird.»
Bardolf sah zu Marysa auf. «Jolánda erzählte mir, was Hartwig sich gestern geleistet hat.» Sein Blick verfinsterte sich. «Das hat er nur gewagt, weil ich hier festsitze. Eine Unverschämtheit! Hat Scheiffart ihn bereits angezeigt?»
Marysa zuckte mit den Achseln. «Das weiß ich nicht. Aber er hatte es vor. Wenn er es tut, kann es sein, dass man Hartwig auch einsperrt.»
«Scheiffart will ihn anzeigen?», mischte Christophorus sich erstaunt ein. «Kommt er damit durch?»
«Sicher, warum nicht?», antwortete Bardolf. «Dass Hartwig Marysa übervorteilen und unter Druck setzen wollte, spielt für ihn zwar wahrscheinlich keine so große Rolle. Hartwig hat ihn belogen, und das sieht stark nach einem Versuch aus, sich an Geldern des Marienstifts zu bereichern.»
«So ist es», bestätigte Marysa. «Scheiffart sagte, das könne sich das Stift nicht gefallen lassen.»
«Womit er recht hat.» Umständlich rutschte Bardolf auf der Grasmatte herum, um eine etwas bequemere Sitzposition zu finden. «Der Auftrag geht nun also doch an dich, Marysa?»
Sie nickte. «Ich muss ihm noch ein Angebot unterbreiten, aber mündlich hat er mir bereits zugesagt.» Gerne hätte sie ihrem Stiefvater auch von ihrer neuen Übereinkunft mit Christophorus berichtet, doch dieser hatte darauf bestanden, die Sache geheim zu halten, also schwieg sie. Es ärgerte sie jedoch, dass er sie damit zwang, vor ihrem Stiefvater und damit wohl auch ihrer Mutter gegenüber ein Geheimnis haben zu müssen.
«Ihr glaubt, Ansem könnte für die Anschläge verantwortlich sein?», kam Bardolf indes wieder auf das ursprüngliche Thema zurück. «Abgesehen davon, dass ich das nicht glauben kann: Wie wollt Ihr das beweisen?»
Christophorus, der die ganze Zeit in der kleinen Zelle umhergewandert war, blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. «Das weiß ich noch nicht. Wir müssen Augen und Ohren offenhalten. Ich werde versuchen, meinerseits etwas über ihn in Erfahrung zu bringen.»
«Ihr wollt ihn verfolgen?», fragte Marysa überrascht.
«Wenn es sich einrichten lässt.» Er nickte.
«Und wenn er Euch bemerkt?»
Christophorus lächelte mit schmalen Lippen. «Das wird er nicht.»
25. KAPITEL
Die nächsten drei Tage vergingen wie im Fluge. Marysa hatte dem Domherrn endlich ihr Angebot überbracht, und er hatte ihr Tags darauf durch van Weyms mitteilen lassen, dass das Stift ihre Vorschläge akzeptiere. Dies hätte eigentlich eine frohe Botschaft sein sollen, es bedeutete gleichzeitig, dass sie tatsächlich auf Christophorus’ Hilfe angewiesen war. Er zog sich zum Schnitzen jeden Abend in seine Kammer zurück; tagsüber trieb er sich in der Stadt herum. Seine Tasche mit den Ablassbriefen trug er jedes Mal bei sich. Marysa stellte fest, dass sie abends, wenn er zurückkam, immer genauso prall gefüllt aussah wie morgens, wenn er das Haus verließ. Mehrmals hatte sie erwogen, ihn zu fragen, was er den ganzen Tag tat und ob er etwas herausgefunden hatte, doch es ergab sich keine Gelegenheit zu einem Gespräch, da sie selbst nun aus Sorge um Bardolf ständig zwischen dem Gefängnis, dem Haus ihrer Mutter und dem Büchel hin und her pendelte. Jolánda war mittlerweile untröstlich vor Kummer und Sorge um ihren Gatten. Marysa hatte kaum mehr eine ruhige Minute. Natürlich musste sich auch jemand um Éliás und ihren Großvater kümmern. Bernát hatte versucht, Einfluss auf die Schöffen auszuüben, doch da er kein Bürger Aachens war, blieb er erfolglos.
Lediglich das Geschäft mit den beiden ungarischen Augustinern schien sich nun endgültig anzubahnen. Am Freitagmorgen traf Bernát mit den beiden Mönchen bei Marysa ein. Er beteiligte sich rege an den Verhandlungen um konserviertes Heiligenhaar und Kleiderschnipsel, von denen Marysa angab, mehrere Dutzend auftreiben zu können. Vor allem Bruder Pongrác war sehr angetan von ihrem Angebot; Bruder András hingegen hielt sich weiterhin bedeckt, starrte unverhohlen auf Marysas Ausschnitt, unterzeichnete schließlich jedoch die Vereinbarung, die sie zusammen mit ihrem Großvater aufgesetzt hatte.
Nachdem die Männer wieder gegangen waren, atmete Marysa auf. Obwohl die vergangenen Tage mit Arbeit angefüllt waren und sie kaum Zeit zum Nachdenken gehabt hatte, schien es ihr, als wate sie durch zähen Sirup. Sosehr sie es sich auch wünschte, es gab nach wie vor keine Hinweise, die zu Bardolfs Entlastung hätten beitragen können. Soweit sie gehört hatte, war die Befragung der anderen
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