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Der gläserne Schrein (German Edition)

Der gläserne Schrein (German Edition)

Titel: Der gläserne Schrein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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ignorierte. «Dann sei es wohl so. Jetzt entschuldigt mich bitte.» Er nickte Marysas Mutter knapp zu und ging mit schnellen Schritten aus dem Raum. Augenblicke später knarrten die Treppenstufen.
    «Gut», sagte Jolánda, trat an die Tür und prüfte, ob sie auch richtig zu war. «Er ist fort.» Sie ging zum Tisch zurück und setzte sich neben ihre Tochter. «Und nun sag mir, was hier vorgeht.»
    Marysa hob den Kopf und starrte ihre Mutter für einen Moment erschrocken an. Sie riss sich zusammen und setzte eine möglichst unbeteiligte Miene auf. «Ich weiß nicht, was du meinst.»
    «Soso, du weißt es nicht.» Jolánda schmunzelte und blickte Ihrer Tochter eindringlich in die Augen. «Lass mich eine Vermutung anstellen.» Sie legte Marysa eine Hand auf den Arm. «Du liebst Bruder Christophorus, nicht wahr?»
    In Marysas Augen flackerte es. «Nein, ich …»
    «Und wenn ich mich nicht täusche, geht es ihm ganz ähnlich», fuhr Jolánda unbeirrt fort.
    Marysa schluckte. «Du hast …»
    «Euch gesehen, ja.» Jolánda nickte.
    «Es …» Wieder schluckte Marysa. «Es ist nicht so, wie du glaubst.»
    Jolánda zuckte mit den Achseln. «Das ist es doch nie, oder?» Sie hielt inne und unterzog ihre Tochter einer weiteren intensiven Musterung. «Hat er dich zu etwas gezwungen, dich bedrängt?»
    «Nein, er …»
    «Hast du ihm mit Absicht schöngetan?»
    Entsetzt riss Marysa die Augen auf. «Nein!»
    «Er ist ein Mönch, Kind!»
    Marysa senkte den Blick. «Ich weiß, Mutter.» Zornig hob sie ihren Kopf. «Meinst du, das weiß ich nicht?»
    Jolánda nickte ruhig. «Gefühle lassen sich eben nicht so leicht beeinflussen.»
    Mit einem verzweifelten Laut schlug Marysa die Hände vors Gesicht. «Ich habe das nicht gewollt, Mutter.»
    Jolánda seufzte, rückte näher an ihre Tochter heran und nahm sie in die Arme. «Ich weiß, mein Kind. Ich weiß.»
***
    Christophorus trug einen inneren Kampf mit sich aus. Wenn er klug wäre, so überlegte er, würde er noch heute von hier fortgehen; das Haus verlassen und in den Konvent in der St.-Jakob-Straße ziehen. Oder, noch besser, Aachen gleich ganz den Rücken kehren. Doch Letzteres verbot ihm das Versprechen, das er Aldo gegeben hatte, und Ersteres brachte er einfach nicht über sich. So schwer es ihm auch fiel, Christophorus musste sich eingestehen, dass er mehr für Marysa empfand, als er je für möglich gehalten hätte. Er wollte ihr nahe sein, obgleich er wusste, wie sinnlos dieser Wunsch war. Niemals würde er das tun dürfen, wonach er sich inzwischen mit jeder Faser seines Körpers sehnte. Selbst wenn Marysa es zuließe, durfte er es nicht wagen, denn das würde bedeuten, ein Spiel mit ihr zu treiben, das sie über kurz oder lang verletzen und womöglich sogar in Verruf bringen würde.
    Also doch besser fortgehen, dachte Christophorus und starrte aus dem Fenster seiner Kammer auf den Hof hinaus, der bereits im nachmittäglichen Dämmerlicht lag und von einer dünnen Schneedecke eingehüllt wurde. Je länger er hierbliebe, desto schlimmer würde es werden. Er drehte sich um und ließ seinen Blick durch die kleine Gästekammer schweifen. Zunächst blieb er an dem frisch gewaschenen Habit hängen, das Imela am Morgen heraufgebracht und auf seinem Bett abgelegt hatte. Dann starrte er eine Weile auf seine große Ledertasche, die halb offen an einem der Bettpfosten lehnte. Ein dicker Stapel Pergamente lugte heraus – seit er in Aachen war, hatte er nicht einen einzigen Ablassbrief mehr verkauft.
    Langsam trat er auf die Tasche zu, nahm sie hoch und leerte ihren Inhalt auf dem Bett aus. Eine der Ablassurkunden segelte zu Boden. Er hob sie nicht auf, sondern ließ sich auf die Bettkante sinken und starrte auf die Dinge, die lange Jahre sein Leben ausgemacht hatten. Schließlich wanderte sein Blick wie von selbst zu dem hölzernen Kreuz mit dem spöttisch schauenden Jesus. Er griff in die Tasche, öffnete ein verborgenes Innenfach und nahm ein kleines, in Tuch gehülltes Bündel heraus. Sorgsam schlug er es auseinander, um die gefälschten Siegel betrachteten zu können.

31. KAPITEL
    Am Donnerstagmorgen war Marysa bereits früh auf den Beinen. Sie hatte sich am Vorabend trotz der herrschenden Kälte ihr Haar gewaschen und bürstete es heute besonders ausgiebig, um es danach mit ihrer hübschesten Haarnetzhaube zu bändigen. Nicht dass sie dem Abt der Benediktinerabtei in Kornelimünster den Kopf verdrehen wollte – davon war sie weit entfernt –, doch sie fühlte sich

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