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Der gläserne Schrein (German Edition)

Der gläserne Schrein (German Edition)

Titel: Der gläserne Schrein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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verspürte ein mulmiges Gefühl in der Magengrube. «Aber Milo kann mich …»
    «Milo wird ebenfalls mitkommen», schnitt Christophorus ihr das Wort ab. Er verließ den Raum und schien etwas aus der Gästekammer zu holen. Kurz darauf hörte sie seine Schritte auf der Stiege.
    Argwöhnisch warf sie einen letzten Blick hinunter zur Straße, aber von dem merkwürdigen Bettler war nichts mehr zu sehen. Entschlossen, sich von dem unguten Gefühl nicht beunruhigen zu lassen, ging sie wieder nach unten und sah nach, was Balbina ihr Gutes zu essen in den Korb gepackt hatte.
***
    Die Benediktinerabtei Kornelimünster war bei gutem Wetter zu Fuß in etwa zwei Stunden zu erreichen. Da es aber in den vergangenen Tagen immer wieder Schneeregen und Schneeschauer gegeben hatte, kam der Wagen, den der korpulente Bruder Konrad lenkte, nur sehr langsam voran. Die beiden Zugpferde mussten sich ihren Weg mühsam durch die tiefen schlammigen Furchen der Straßen suchen. Der Augustinermönch erzählte dabei unablässig von dem Wein, den er aus Kornelimünster holen sollte, und von den Plänen, die Marienstift und Augustinerkloster für die bevorstehenden Weihnachtsfeierlichkeiten hatten.
    Marysa und Christophorus hörten ihm schweigend zu; Marysa vermied es zudem, Christophorus, der ihr gegenübersaß, ins Gesicht zu schauen.
    Lediglich Milo fand an dem Schwatz mit Bruder Konrad Gefallen. Mit verzücktem Gesichtsausdruck ließ er sich von den vielen außergewöhnlichen und schmackhaften Speisen berichten, die die Kanoniker während der Feiertage zu verzehren gedachten.
    Nachdem sie etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, stieß Christophorus Marysa kurz an und drehte seinen Kopf ein wenig zur Seite. Sie folgte unauffällig seinem Blick. An der Wegbiegung, die sie gerade passiert hatten, meinte sie einen Schatten verschwinden zu sehen.
    «Der Bettler?», raunte sie.
    «Ja. Der Bettler», bestätigte Christophorus.
    «Ihr sprecht über Bettler?» Bruder Konrad, der Christophorus’ Worte wohl gehört hatte, drehte sich kurz zu ihnen um. «Ja, in der Tat, es gibt enorm viele Bettler heutzutage. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie viele von ihnen tagtäglich an unsere Tür klopfen und um Almosen bitten. Natürlich gebietet es uns die Nächstenliebe, ihnen Gutes zu tun, soweit es in unserer Macht steht …» Schon hatte der redselige Mönch ein neues Thema gefunden, über das er sich lang und breit ausließ.
    Abt Winand empfing Marysa am Mittag in seinem Arbeitszimmer. Er war ein Mann mittlerer Größe, dessen Leibesumfang etwas zur Fülle neigte. Sein braunes Haar wurde bereits schütter, doch seine Augen strahlten Vitalität aus. Marysa mochte ihn sofort, weshalb sie nach Einlösung des Wechsels auf seine Bitte hin noch länger blieb. Sie sprachen über den Bau eines großen hölzernen Schreins, in dem zukünftig eine der Reliquien des heiligen Cornelius aufbewahrt werden sollte. Sein Kopf sowie sein Grab- und Schweißtuch waren im Besitz der Abtei. Ebenso wie die Aachener Heiltümer wurden sie alle sieben Jahre den Gläubigen präsentiert. «Der jetzige Schrein», so führte Abt Winand aus, «ist nicht prunkvoll genug. Da die Heiltümer in Kornelimünster seit je in Holzschreinen aufbewahrt werden, muss der Schreinbauer, dem die Ehre zuteilwird, ein neues Behältnis zu entwerfen, außergewöhnliches Talent besitzen.» Bedeutungsvoll blickte er Marysa an. «Johann Scheiffart empfahl mir Eure Werkstatt, Frau Marysa, obwohl Ihr derzeit keinen Meister im Hause habt. Er betonte, dass sich dies in Kürze ändern werde. Ist das richtig?»
    «Nun …» Marysa wand sich. «Gewissermaßen.»
    Der Abt nickte huldvoll. «Eine kluge Entscheidung, denn nur im Ehestand erfährt eine Frau den wahren Segen, nicht wahr? Ihr seid schließlich noch jung, und gewiss gibt es mehr als einen Mann, der Euch gern zum Eheweib nehmen würde. Nun ja.» Er räusperte sich. «Wie dem auch sei, Johann Scheiffart ist der Meinung, ich solle Euch mit dem Entwurf eines neuen Schreins beauftragen. Er selbst lässt ja ebenfalls bei Euch bauen. Keine Sorge, wir benötigen den Schrein nicht sofort. Im Grunde würde es reichen, wenn er zur nächsten Heiltumsweisung fertig wäre. Ich plane gerne im Voraus und möchte natürlich auch zuerst einmal erfahren, mit welchen Kosten wir rechnen müssen, wenn Ihr diese Arbeit übernehmt.»
    Marysa schluckte. Einen weiteren so gewichtigen Auftrag hätte sie nicht erwartet. Sie wusste nicht, ob es recht war, auch nur daran zu

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