Der gläserne Schrein (German Edition)
besser, wenn sie gut gekleidet und frisiert war. Außerdem beschäftigte es ihre Hände und, noch wichtiger, ihre Gedanken, die sich ansonsten unausgesetzt um Bruder Christophorus gedreht hätten.
Er hatte sich seit jenem Nachmittag fast ununterbrochen in seiner Kammer aufgehalten und war nur heruntergekommen, um sich etwas zu essen oder Holz und Werkzeug aus der Werkstatt zu holen. Sie hatten seitdem kein Wort mehr miteinander gewechselt.
Marysa war einerseits erleichtert darüber, denn der letzte Kuss machte es ihr fast unmöglich, ihm gegenüberzutreten. Andererseits wusste sie, dass es so nicht länger weitergehen konnte. Auch wenn sie sich davor fürchtete, musste sie wohl oder übel irgendwann mit Christophorus über das sprechen, was zwischen ihnen vorgefallen war. Zunächst freute sie sich auf den Ausflug nach Kornelimünster, der ihr wenigstens einen Tag Aufschub verschaffen würde. Da sie nur in Gesellschaft von Milo zu fahren gedachte, würde ihr das hoffentlich die Möglichkeit bieten, ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen, sie vielleicht sogar wieder in den Griff zu bekommen.
Um die Zeit bis zur Terz zu überbrücken, ordnete sie die Laken auf ihrem Bett, schüttelte die Kissen und faltete ihre Decke ordentlich zusammen. Dabei fand sie Aldos Brief, den sie neulich auf ihr Bett geworfen hatte. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sie ihn vergessen lassen. Er war in die Ritze zwischen Bettgestell und Matratze gerutscht.
Vorsichtig zog Marysa ihn heraus. Als sie ihn aufschlagen wollte, klopfte es leise an ihrer Tür.
Imela streckte den Kopf herein. «Herrin, Balbina lässt fragen, ob sie Euch einen Korb mit Essen zurechtmachen soll.»
Marysa faltete den Brief zusammen und steckte ihn rasch in ihre Gürteltasche. «Ich komme schon, Imela», sagte sie und prüfte noch einmal mit den Händen den Sitz ihrer Haube. Dann eilte sie die Stiege hinab. An der Küchentür traf sie auf Christophorus, der sich gerade seinen Mantel überwarf.
Erstaunt blickte sie ihn an. «Ihr geht aus?»
Christophorus verzog keine Miene. «Ich begleite Euch, Frau Marysa.»
Abwehrend hob sie die Hände. «Das ist nicht nötig. Milo kommt mit mir.»
«Sehr wohl ist das nötig», widersprach er. «Ihr fahrt nicht allein nach Kornelimünster.»
Spöttisch hob sie die Augenbrauen. «Ich tausche nur einen Wechsel ein. Bei Abt Winand im Kloster der Benediktiner. Dazu braucht es nicht die Begleitung von zwei Männern.»
«Und wenn Ihr nur über die Straße zu St. Foillan gehen wolltet, um die Beichte abzulegen.» Grimmig fasste Christophorus sie am Handgelenk. «Kommt mit.»
«Lasst mich los!», protestierte Marysa, war jedoch gezwungen, ihm zu folgen, da er nicht auf sie hörte. Er stieg die Stufen ins Obergeschoss hinauf, was ihn dazu veranlasste, sie loszulassen, da zwei Personen nebeneinander auf der Treppe keinen Platz hatten. Dennoch ging sie ihm nach, denn seine Miene hatte nichts Gutes verheißen.
Ohne auf ihren erneuten Protest zu hören, betrat er ihre Schlafkammer und winkte sie zum Fenster. Neugierig trat sie näher.
«Halt, nicht direkt hinaussehen», hielt er sie auf. «Schaut von der Seite aus hinunter.»
Sie trat dicht neben ihn und warf einen Blick zur Straße. Ihre Nachbarin von gegenüber, Ragna Berscheider, stand mit zwei weiteren Frauen vor dem Eingang des Nachbarhauses und schien den neuesten Klatsch auszutauschen. Ein paar Kinder tobten im Matsch und bewarfen einander mit schmutzigen Schneeresten. Weiter hinten, vom Marktplatz kommend, schob ein Höker seinen Karren mit den unterschiedlichsten Waren den Büchel herauf.
«Was soll es hier zu sehen geben?», fragte Marysa und wollte sich schon abwenden.
Christophorus hielt sie an der Schulter fest und wies mit dem Kinn in Richtung eines Hauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite. «Dort rechts, im Hauseingang», sagte er. «Seht ihr den Bettler?»
Marysa blickte zu dem Haus hinüber und nickte.
Christophorus verschränkte die Arme vor dem Leib. «Achtet einmal auf seine Schuhe.»
Marysa kniff die Augen zusammen und versuchte, auf die Entfernung etwas zu erkennen. «Er trägt Stiefel», stellte sie fest. Plötzlich stockte sie und drehte sich abrupt zu ihm um. «Ist das der Mann, den Ihr bei Hyldeshagens Werkstatt gesehen habt?»
«Genau der», antwortete Christophorus, diesmal wieder in grimmigem Ton. «Er drückt sich schon seit gestern hier herum. Das gefällt mir nicht, deshalb werde ich Euch nach Kornelimünster begleiten.»
Marysa
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