Der gläserne Schrein (German Edition)
Christophorus. «Das kommt zu dieser Jahreszeit häufig vor.»
Auch Marysa hatte die Wetteränderung mit Sorge beobachtet. Dennoch war sie froh, den Fußweg gewählt zu haben, denn ansonsten wären sie längst nicht so weit gekommen. Sie hielt die Kapuze ihres Mantels dicht unter ihrem Kinn zusammen und wies auf die ersten Häuser, die in der Ferne sichtbar wurden. «Wenn wir es nicht bis Aachen schaffen, können wir in Burtscheid übernachten. Es gibt dort einige ausgezeichnete Herbergen.»
«Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben», stimmte Christophorus zu und wischte sich die erste Schneeflocke von der Stirn. «Gehen wir weiter, bevor das Unwetter losbricht!»
Umgeben vom unheimlichen Heulen des Windes und zunehmend eingehüllt vom dichten Schneefall, stapften sie weiter den Weg entlang, der sie auf die kleine Stadt zuführte. Obwohl sie Burtscheid schneller erreichten als gedacht, waren ihre Mäntel und Schuhe inzwischen gänzlich durchnässt. Glücklicherweise fanden sie bereits in der ersten Herberge, die sie ansteuerten, freundliche Aufnahme. Die rundliche Wirtin wies ihnen zwei kleine, aber gemütliche Kammern zu, von denen Marysas sogar durch den Kamin mitgeheizt wurde, da sie sich direkt über der Gaststube befand. «Es ist vielleicht ein bisschen laut», entschuldigte sich die Wirtin, «aber dafür schön warm. Euer Knecht kann gerne im Stall sein Lager aufschlagen.»
Milo war von dieser Aussicht sehr angetan, denn auch die Stallungen versprachen angenehme Wärme. Die Herberge war gut besucht, und so waren mehrere Pferde untergestellt worden. Er zog sich gleich dorthin zurück, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Marysa ihn nicht weiter benötigte. Den Korb voller Proviant nahm er mit in sein Schlaflager. Sie hatten das Essen gar nicht angerührt, da sie ja im Kloster ein gutes Mahl erhalten hatten.
Nachdem sie ihre nassen Mäntel aufgehängt hatten, trafen sich Marysa und Christophorus im Schankraum, wo sie sich an einen der großen Tische setzten, die um diese Zeit bereits zur Hälfte belegt waren. Die Wirtin empfahl ihnen die gebratenen Hühner und den Gemüsekuchen, von denen sich schließlich beide eine Portion bestellten.
«Dauert nicht lange», versprach die Schankmagd, die ihnen zunächst einen Krug Bier und zwei Becher brachte. Der Sturm heulte mittlerweile lautstark um das Gebäude und rüttelte an den fest verschlossenen Fensterläden. Die Schankstube füllte sich zusehends, denn auch andere Reisende suchten Zuflucht vor dem Wetter. Bald glich das Stimmengewirr dem Gesumm in einem Bienenstock, die Luft heizte sich ganz von selbst auf, wurde von Essensdämpfen und dem Geruch nach nasser Wolle durchdrungen.
Das Brathühnchen war tatsächlich ausgezeichnet, der Gemüsekuchen angenehm würzig, sodass Marysa sich nach und nach etwas entspannte. Während sie das Fleisch von einem der Knochen pulte, sah sie sich aufmerksam in der Schankstube um. «Habt Ihr den Bettler wiedergesehen?»
«Nein.» Christophorus schüttelte den Kopf. «Aber ich werde dennoch das Gefühl nicht los, dass er irgendwo in der Nähe ist.»
«Er beobachtet uns noch immer, meint Ihr?»
«Ich nehme es an.»
Marysa runzelte die Stirn. «Was sollte er von uns wollen? Und wer hat ihn geschickt?»
«Wenn wir das wüssten, hätten wir vermutlich denjenigen, der für die Vorfälle in der Chorhalle verantwortlich ist», antwortete er mit leisem Ingrimm.
«Und Bardolf ins Gefängnis gebracht hat.» Marysa nickte. «Was sollen wir tun?»
Christophorus verzog nachdenklich die Mundwinkel. «Irgendwann muss der Mann seinem Herrn oder Auftraggeber Bericht erstatten. Ich kann versuchen, ihn zu verfolgen, um herauszufinden, wohin er geht.»
Skeptisch sah Marysa von ihrem Hühnchen auf. «Was wird geschehen, wenn er herausfindet, dass wir ihn bemerkt haben?»
«Ich werde vorsichtig sein.» Mit einem Stück Brot wischte Christophorus die letzten Fettreste von seinem Holzteller.
«Aber …» Marysa verstummte, als sie Christophorus’ veränderte Miene bemerkte. «Was ist?»
«Hyldeshagen», sagte er und blickte weiter über ihre Schulter. «Nein, dreht Euch nicht um. Er ist gerade hereingekommen und hat sich an den Tisch neben der Tür gesetzt. Er hat Ludwig und einen Jungen dabei.»
«Einen Jungen?» Marysa drehte sich vorsichtig zur Tür, wandte sich jedoch gleich wieder um. «Das ist sein Sohn», raunte sie, obwohl Hyldeshagen sie durch das Stimmengewirr sicher nicht hören konnte. «Was will er hier? Ist er uns
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