Der gläserne Wald
Pflanzen ein Lichtmuster gegen den Himmel, nur an wenigen Stellen blitzte die goldene Haut des Schiffes durch das Dickicht. So sehr es ihren Augen auch wohl tat, nicht mehr von den grellen Strahlen der Sonne geblendet zu sein, so ungesund und giftig erschien ihnen die intensiv grünliche Färbung des Lichts. Jeder der Männer empfand es in dieser abweisenden Umgebung als tröstlich, dass sie sich gegenseitig beim Desinfizieren und Verbinden der Wunden und Stiche behilflich waren, und darum taten sie es sehr gründlich und mit großer Fürsorge.
Der Kapitän wusste so gut wie die meisten seiner Männer, dass die Behandlung der Kratzwunden im Grunde überflüssig war, denn die Kampfstoffanalysatoren hatten keinerlei giftige Stoffe registriert. Aber diese absolute Keimfreiheit machte ihm Sorgen, obwohl sie normalerweise nach der Einwirkung von Schiffstriebwerken zu erwarten war.
Nachdem er seine Soldaten eine Weile hatte gewähren lassen und sah, dass sie zögernd ihre Erste-Hilfe-Ausrüstungen wieder zusammenpackten, befahl er den Aufbruch.
In lockerer Kampfformation drangen sie in das Rankendickicht vor, als erwarteten sie jederzeit einen Angriff, doch der Kapitän glaubte nicht, dass sich irgendwelche Menschen in der Nähe befanden. Sie stiegen fast lautlos durch die Hecke, denn der elastische, faserige Boden verschluckte die Geräusche ihrer Schritte. Hin und wieder hörte man das Aneinanderschlagen von Ausrüstungsgegenständen oder ein Schaben, wenn sich ein Soldat zwischen eng stehenden Ranken hindurchzwängte.
Dann wurde die Stille jäh von einem lang gezogenen schrillen Schrei unterbrochen, der von der Spitze der Formation kam. Dem Schrei folgte ein Röcheln, darauf ein zweiter und dritter Schrei und das Zischen mehrerer Laserwaffen.
Schon beim ersten Schrei hatte sich der Kapitän zu Boden geworfen. Ein glühender Schmerz zuckte durch seine Wange, als eine federnde Ranke, auf die er mit dem Gesicht gestürzt war, ihm einen Dorn durch die Backe trieb. Sekundenlang lähmte ihn der Schmerz, und er erschrak vor Ekel über die Verletzung seines Gesichts. Die folgenden Ereignisse drangen nur wie durch einen Schleier in sein Bewusstsein. Er schmeckte das Blut, das aus der Wunde in seinen Mund sickerte, und vorsichtig tastete er mit der Zunge nach dem Stachel. Zugleich wunderte er sich, dass der Schmerz nicht heftiger war, und erinnerte sich, wie wenige Nerven die Wangenmuskulatur durchzogen.
Er hob den Kopf, um sich dadurch von dem Dorn frei zu machen, aber die Ranke folgte elastisch seiner Bewegung; erst als er sie behutsam von sich wegschob, gab ihn der Stachel frei. Sofort füllte sich sein Mund mit Blut, und ehe er es verhindern konnte, rann ein Teil davon die Kehle hinab, und ein heftiger Brechreiz befiel ihn. Er kniete sich nieder und ließ Blut und Speichel einfach aus dem Mund fließen, während er mit der einen Hand an dem Verbandspäckchen nestelte, worin sich auch das Fibrofermspray befand.
Das Spray legte sich als anästhesierender Plastikfilm über die verletzte Mundschleimhaut, indem es durch hohen Druck die betroffene Stelle momentan reinigte und eine augenblickliche Koagulation bewirkte. Nachdem er die Wunde so von innen und außen behandelt hatte, ließ der Schmerz sehr rasch nach, und die Wange fühlte sich taub an.
Beklommen sah er sich um. Von irgendwoher hörte er ein gequält röchelndes Atmen, aber sehen konnte er nichts außer den Tausenden von Ranken, deren verschlunge Arabesken im Halbdunkel jede Form zerstückelten und auflösten. Er lauschte angestrengt, doch nur das Röcheln schien lauter zu werden und von allen Seiten auf ihn einzudringen.
Er konnte sich gut vorstellen, wie seine Leute sich ängstlich auf den Boden pressten und warteten, dass etwas geschah. Keiner würde es wagen, ohne Befehl zu handeln, und das war gut so.
Auf Händen und Füßen kroch der Kapitän voran und bemühte sich, kein Geräusch zu machen, aber schon das Schaben des Uniformstoffs klang ihm unerträglich laut in den Ohren, und immer wieder griffen Dornen nach ihm und hielten ihn fest.
Er hatte keine genaue Vorstellung, wo er seine Männer suchen sollte, darum bemühte er sich, nur ungefähr die Richtung einzuhalten, in der sie anfangs losmarschiert waren. Die Richtung einzuhalten bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten, denn er brauchte nur auf die Anzeige seines winzigen Massedetektors zu achten; er war jedoch so unerfahren, dass er nicht einmal auf den Gedanken kam, seine Rechts-Links-Abweichungen
Weitere Kostenlose Bücher