Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
aber Vulgarität. Es tut mir leid, wenn ich dich verärgert habe, aber du hättest nicht herkommen sollen. Vermutlich liegt der Fehler bei mir, ich hätte dafür sorgen sollen, dass die Verbindungstür dauerhaft verschlossen ist. Du musst entweder lernen, mit deinen … Bedürfnissen zu leben, Amber, oder einen diskreten Weg finden, damit umzugehen. Manche Frauen – zweifellos die ehrbareren – stürzen sich meines Wissens in karitative Aktivitäten. Die Wahl liegt bei dir. Ich möchte dazu nichts mehr hören. Bitte geh in dein Zimmer zurück.«
Amber floh erleichtert. Wie hatte sie sich nur so erniedrigen können?
Das Sehnen, das sie in Roberts Zimmer geführt hatte, war verschwunden. Es durfte nie wiederkehren. Die Vorstellung, sie könnte sich kaltblütig einen diskreten Liebhaber suchen, entsetzte sie fast noch mehr, als Roberts Abweisung sie gedemütigt hatte. Nein, von nun an würde sie irgendeinen Weg finden, ihr Leben als Gattin eines Mannes zu führen, der sie nicht begehrte, und sie würde sich weder einen Liebhaber suchen noch ein zweites Mal ihren Ehemann anflehen.
Zitternd legte Amber sich wieder ins Bett. Könnte sie doch nur die Augen schließen und einfach vergessen, was in dieser Nacht geschehen war, als wäre es nichts als ein böser Traum gewesen.
»Amber, ich habe nachgedacht.«
Amber erstarrte. Seit ihrem katastrophalen Verführungsversuch waren zwei Tage vergangen, und bis jetzt hatte Robert das Geschehene mit keinem Wort angesprochen.
»Da du nach Macclesfield und dann nach Osterby fährst«, fuhr Robert betont lässig fort, »habe ich mir gedacht, ich könnte auf einen Sprung nach Paris schauen.«
War es Erleichterung oder Scham, weswegen ihr auf einmal schwindelig wurde und sie weiche Knie bekam? Spielte es eine Rolle? Robert sprach weiter, und sie zwang sich, sich darauf zu konzentrieren, was er sagte.
»Otto war noch nie in Paris, der arme Junge – kannst du dir das vorstellen? -, und ich dachte, er könnte es amüsant finden.«
Amber hätte ihn am liebsten bestürmt, sein Herz nicht zu rasch zu verschenken. Etwas an der kalten Berechnung, die sie im Blick von Roberts neuem Beau bemerkt hatte, hatte sie zutiefst beunruhigt.
26
»Jay, was für eine schöne Überraschung!« Amber konnte ihre Freude nicht verbergen, als sie Jay am Bahnsteig in Macclesfield auf sie warten sah.
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber deine Großmutter musste zu einem Treffen des Wohltätigkeitskomitees und hat mich gebeten, dich am Bahnhof abzuholen, weil sie Horace und den Wagen selbst braucht.«
Amber lachte. »Ich finde es viel schöner, von dir abgeholt zu werden als von Horace, und ich lasse mich auch lieber von dir fahren. Großmutter sollte ihn wirklich in Rente schicken. Ich fürchte, er wird allmählich zum Verkehrsrisiko.«
»Kann gut sein, aber da die Ortsansässigen ihn kennen und einen weiten Bogen um den Bentley deiner Großmutter machen, geht es wohl noch. Du bist natürlich gekommen, um dir die Seide anzusehen?« Er lächelte sie an und öffnete ihr die Tür eines robusten Morris Oxford.
»Ja. Hast du sie gesehen?«, fragte Amber eifrig.
»Noch nicht. Maurice Westley meinte, ich sollte, aber ich habe ihm gesagt, du solltest die Erste sein. Er ist ganz aufgeregt – oder zumindest so aufgeregt, wie ein Mann aus Yorkshire sein kann -, und er meint, sie haben gute Arbeit geleistet.«
Maurice Westley war der neue Werksdirektor, den Jay gesucht hatte, nachdem Amber ihm anvertraut hatte, dass sie befürchtete, das mangelnde Interesse ihrer Großmutter und das Alter des früheren Managers sorgten zusammen dafür, dass die Verkaufszahlen der Fabrik noch weiter in den Keller fielen.
Jay konnte gut mit ihrer Großmutter umgehen, und das führte zu Ergebnissen, die Amber nie erzielt hätte. Sie hatte sich sehr gefreut, als Jay sie Westley vorgestellt hatte. Der Mann aus Yorkshire machte kein Geheimnis daraus, dass er der Meinung war, die Seidenproduktion sei weder an Bedeutung noch an Masse mit der Produktion von Wolle oder Baumwolle zu vergleichen, doch er hatte sich gut in der Fabrik eingearbeitet, und die Arbeiter respektierten ihn.
Dank Cecil Beatons Rat und ihrer diskreten Werbung in ihren Kreisen hatte Amber der Fabrik mehrere hervorragende Aufträge besorgt, darunter einige über James Lees-Milne, der durch sein Engagement für den National Trust Experte für die Inneneinrichtung der prächtigsten Herrenhäuser des Landes geworden war.
Sie hatten weiße Seidenstoffe
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