Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
sich auch mit einer Chinesin eingelassen, zumindest laut Henry Jardine. Deine Großmutter hat mir Jardines Brief gezeigt.«
»Ich wünschte wirklich, er würde nach Hause kommen. Jetzt gibt es doch keinen Grund mehr, warum er nicht nach Hause kommen sollte, oder? Lord Fitton Legh hat schließlich wieder geheiratet.« Lord Fitton Legh hatte gut ein Jahr nach Carolines Tod Cassandra geheiratet. Amber war überrascht gewesen, doch ihre Großmutter hatte sie darauf aufmerksam gemacht, dass Eheschließungen zwischen den Fitton Leghs und den de Vrieses Tradition hatten.
»Er will anscheinend nicht. Deine Großmutter hat es ihm vorgeschlagen. Sie glaubt wohl, Greg habe Angst, bei seiner Rückkehr von der örtlichen Gesellschaft geächtet zu werden.«
»Liegt es daran, oder hat er Schuldgefühle wegen Caroline?«, fragte Amber. »Was ihr zugestoßen ist, muss ihm doch ziemlich auf der Seele lasten.«
Das bezweifelte Jay, so wie er Greg kannte, doch er wollte Amber nicht aufregen und schwieg lieber. Stattdessen meinte er freundlich: »Seine Erinnerungen haben bestimmt etwas damit zu tun, dass er seine Rückkehr hinauszögert.«
»Seine Briefe klingen, als würde er in Hongkong ein sehr reges Gesellschaftsleben führen. Er entschuldigt sich ständig, dass er nicht öfter schreibt«, sagte Amber. »Aber irgendwann muss er ja zurückkommen. Er ist schließlich Großmutters Erbe, und ich weiß, dass sie ihn vermisst. Sie wird wollen, dass er heiratet und eine Familie gründet.«
»Wann soll ich dich morgen abholen«, wechselte Jay taktvoll das Thema.
»Wäre dir elf Uhr recht?«
»Ich werde es einrichten.« Jay verabschiedete sich mit einem freundlichen Lächeln von ihr, als Wilson, der Butler, die Tür öffnete.
Greg wartete und fing dann bewusst den Blick des Chinesen auf, der wie zufällig nah der anonym aussehenden Tür stand, die man in der dunklen Spielhölle leicht übersah, wenn man nicht wusste, dass es sie gab.
Er hatte einen miserablen Tag gehabt. Das Geld, das er von seiner Großmutter erwartete, war noch nicht gekommen, und sein verflixter Bankdirektor hatte die Frechheit besessen, sich zu weigern, ihm einen Vorschuss darauf auszuzahlen, und als Greg versucht hatte, mit ihm einen Gesprächstermin zu vereinbaren, hatte er eine andere Verabredung vorgeschützt. Als hätte das nicht gereicht, hatte der verdammte Schneider, der seine Anzüge nähte, die Stirn besessen, im Büro aufzutauchen und Greg wegen des Geldes zu belästigen, das er ihm schuldete.
Greg hatte gehofft, dass seine Pechsträhne am Spieltisch endlich umschlagen würde. Irgendwann musste sie das doch, warum also nicht an diesem Abend?
Zunächst hatte es den Anschein gehabt, als hätte er recht, und an einem Punkt hatte er fast hundert Pfund an Gewinnen vor sich liegen, doch dann hatte die ungerechte Fortuna ihn verlassen, und er hatte alles wieder verloren und noch weitere einhundert dazu.
Der Mann, der die Tür bewachte, nickte, und Greg trat auf ihn zu.
Zuerst war ihm ein wenig unbehaglich dabei gewesen, eine Opiumhöhle aufzusuchen, doch als Lionel ihn ausgelacht hatte, hatte sein Stolz ihn gezwungen, den Freund zu begleiten.
Ein wenig reumütig schüttelte Greg jetzt den Kopf und schob sich unauffällig durch die offene Tür. Wie naiv war er gewesen, dass er sich etwas vorgestellt hatte, was an Londons berüchtigte Slumgegend Limehouse erinnerte, über die man zu Hause in der Revolverpresse las.
Die Opium-Lounge hier war nichts dergleichen. Wohl war die schmale Treppe, die aus der Spielhölle in die Lounge hinaufführte, abgetreten und schäbig, doch sobald man den Treppenabsatz erreicht hatte und dem diensthabenden Wachmann vor der Tür zur Lounge die Marke gegeben hatte, die man bekam, wenn man unten bezahlte, wurden die Türen geöffnet, zwar nicht zum Himmel, wie manche aficionados der Droge behaupteten, doch sicher zu einem sehr eleganten Raum, wo das Opiumrauchen als Kunst zelebriert wurde.
Auf dem polierten Holzfußboden standen große, niedrige Diwane; die Männer, die darauflagen, trugen lange Seidenkimonos, in die man sich hinter Paravents kleidete.
Der Kimono, den man Greg reichte, war rot, bestickt mit goldenen Drachen. Er lächelte, als er ihn überzog. »Den Drachen jagen« war im Chinesischen ein Euphemismus für das Opiumrauchen.
Greg wurde zu einem Diwan geführt, auf dem nur ein weiterer Gast lag, ein Europäer, wie alle Kunden hier. Kalligraphische Schriftrollen mit verheißungsvollen Redensarten und üppige
Weitere Kostenlose Bücher