Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
wieder besserte und ihr Chanel-Kleid ziemlich schlicht, fast streng war, hatte sie sie doch wieder einmal angelegt.
Denby Mill war eine der wenigen Fabriken gewesen, die auf dem Höhepunkt der Depression niemanden hatten entlassen müssen. Amber war erst erstaunt und dann zutiefst bewegt gewesen, als Jay ihr erzählt hatte, dass das allein ihrer Großmutter zu verdanken war, die Anweisung erteilt hatte, kein Arbeiter solle entlassen werden, egal wie wenig Arbeit die Fabrik hatte. Um sicherzugehen, dass ihre Wünsche ausgeführt wurden, hatte Blanche einen Fonds eingerichtet, der den Lohn der Arbeiter garantieren sollte. Ihre Großmutter machte sich zwar nichts aus der Fabrik, aber sie nahm ihre Verantwortung den Arbeitern gegenüber wohl sehr ernst.
»Danke. Sie waren ein Hochzeitsgeschenk meines Mannes«, sagte sie zu Wallis Simpson.
»Von welchem Juwelier?«, drängte die Amerikanerin.
»Cartier.«
»David!«, rief Wallis Simpson herrisch. »Komm und sieh dir diese Armbänder an. Sind sie nicht apart?«
»Weißt du was, Robert, ich glaube, Wallis Simpson geht wirklich davon aus, dass der Prince of Wales sie heiraten wird«, vertraute Amber ihrem Ehemann später zu Hause in der Bibliothek an, als sie die Armbänder abnahm, damit er sie in den Safe legte.
Robert schüttelte gähnend den Kopf. »Er wird sie nicht heiraten«, meinte er entschieden. »Darauf kannst du dich verlassen. Das Parlament würde dem nie zustimmen.«
Es war spät geworden, doch Amber konnte nicht schlafen; der Abend hatte zu viele schmerzliche Erinnerungen geweckt und mit ihnen die Sehnsucht, die sie in letzter Zeit immer öfter quälte. Sie hatte erst versucht, sie zu leugnen, und als sie sich nicht ignorieren ließ, hatte sie ihr nachgegeben, wenn auch schockiert und beschämt. Vor ihrer Beziehung mit Jean-Philippe war ihr Wissen über die weibliche Sexualität, die Bedürfnisse einer Frau und das, was gesellschaftlich akzeptabel war, auf eine vage Ahnung beschränkt gewesen, dass ein wohlerzogenes Mädchen nicht einmal zugab, dass es so etwas wie Sex überhaupt gab, geschweige denn irgendwelche Neugier an den Tag legte oder – Gott behüte – gar den Wunsch äußerte, Erfahrungen zu machen. Als verheiratete Frau und Mutter war sie gezwungen, so zu leben, als gäbe es keinen Sex, kein Begehren, keine Sehnsucht und keine Befriedigung, nachdem all diese Bedürfnisse erfüllt worden waren. Sie hatte sich gesagt, dass sie leicht damit leben könnte, und es auch geglaubt, doch während der letzten Wochen war sie zunehmend von einem dumpfen Sehnen verfolgt und gepeinigt worden, auch wenn es bis jetzt nicht mehr als eine leise Regung war, so schnell vorüber, dass sie sich beinahe einreden konnte, sie existiere gar nicht.
Amber lag im Dunkeln und spannte die Muskeln an, um sich gegen dieses unerwünschte Sehnen zu wehren. Dieses Bedürfnis, das sie erfasste, war ihr schändliches, lästiges Geheimnis, das sich nur in den dunklen Stunden der Nacht hervorwagte. Am Tag konnte sie es ignorieren, indem sie sich mit anderen Dingen beschäftigte, doch in der Nacht …
Sie sah zu der geschlossenen Tür, die ihr Schlafzimmer mit Roberts verband. Robert. Ihr Ehemann. Ihr Herz tat einen kleinen Satz, und sie hielt den Atem an. Als sie ihn kennengelernt hatte, hatte sie ihn so großartig, so romantisch gefunden. Damals war sie sogar kurz davor gewesen, ihm ihr Herz zu schenken, bis ihr klar geworden war … Sie hatte von Robert geträumt, romantische Träume eines unschuldigen jungen Mädchens, voll zarter Küsse und zärtlicher Berührungen. Die Küsse und Berührungen, nach denen sie sich jetzt sehnte, waren die einer reifen Frau, nicht eines jungen Mädchens. Das dumpfe Sehnen, das sie quälte, war schwer zu ertragen, und Robert war ihr Ehemann. Andere Männer mit seinen Neigungen unterhielten richtige eheliche Beziehungen mit ihren Gattinnen, das bewiesen schon ihre Kinder. Sie fühlte sich manchmal so einsam, benachteiligt, beinahe betrogen – betrogen? Wie konnte sie, nach allem, was Robert für sie getan hatte, so etwas denken? In ihren Augen brannten Tränen.
Aber war es wirklich so falsch von ihr, sich zu wünschen, Robert erwiese sich wenigstens ab und an als richtiger Ehemann? Die Verbindungstür zog sie wie magisch an. Sie stand auf, zog ein Spitzenjäckchen über ihr Nachthemd und ging mit wild pochendem Herzen zur Tür.
Roberts Schlafzimmer war in Reinweiß und hellem Silbergrau gehalten, sehr maskulin und modern. Auf den dunklen
Weitere Kostenlose Bücher