Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
verzog das Gesicht. »Auch wenn ich einen Herzog geheiratet habe, gibt es immer noch Leute, die mich nicht akzeptieren und mich nie akzeptieren werden, weil ich ›keine von ihnen‹ bin.«
»Diesen Dummköpfen entgeht etwas«, meinte Jay sanft.
»Robert hasst den Snobismus bei derartigen Veranstaltungen. Ich hoffe nur, dass er rechtzeitig zur Beerdigung wieder da ist. Er ist in Paris, hat aber angerufen, um mir zu sagen, dass er umgehend nach Hause kommen will.« Amber wandte den Blick von Jay ab; ihr Gesicht brannte vor Verlegenheit, als sie an ihren Gefühlsaufruhr von vorhin dachte, dessen sie sich jetzt von Herzen schämte. »Wenn er hier wäre, würde ich dir natürlich anbieten, bei uns zu übernachten, aber so …«
Jay schüttelte den Kopf. »Nein, schon gut, ich bin im Club meines Großvaters untergekommen – meinem Club, nachdem er mich für die Mitgliedschaft vorgeschlagen hat.«
»Geht es ihm gut?«
»Sehr gut. Ich frage mich manchmal, ob es nicht seine Entschlossenheit ist, deiner Großmutter kein Land zu verkaufen, die ihn bei der Stange hält. Ich glaube, er will sie unbedingt überleben, und sie ihn.«
Amber zitterte. »Wir schrecklich, all die Jahre mit dieser Feindschaft zu leben.«
»Deine Großmutter war immer sehr gut zu mir, und ich muss zugeben, dass ich vieles an ihr einfach bewundern muss. Sie hat ein riesiges Reservoir an Willenskraft. Und ich glaube, du besitzt das auch, Amber. Ihr gleicht euch mehr, als du wahrhaben willst.«
Amber schüttelte den Kopf. »Du lässt es mich wissen, wenn du etwas Neues von Greg hörst?«
»Umgehend«, versicherte Jay ihr.
Lange nachdem Jay gegangen war, stand Amber noch am Fenster des Salons und blickte in den grautrüben Januarnachmittag hinaus. Sie hatte das Gefühl, als wäre auch sie von einem kalten Nebel des Elends und der Verzweiflung durchzogen, genau wie die Stadt. Unaufhörlich wallte der Nebel in ihr auf und erfüllte ihre Gedanken.
Der Tod des Königs hatte alle bekümmert. Es war kein guter Start ins neue Jahr, insbesondere, da schon sehr viel über die Beziehung des Prince of Wales mit Wallis Simpson geklatscht wurde.
Hinzu kam die wachsende Unruhe über die Lage in Deutschland. Emerald Cunard mochte ja mit dem deutschen Diplomaten von Ribbentrop flirten und neckend behaupten, sie sei ganz éprise in ihn, doch in den Reihen der britischen Politiker wuchs die Abneigung gegen Adolf Hitler, obwohl er in seinem eigenen Land als eine Art Erlöser gefeiert wurde, weil er so viel gegen die Depression und die Arbeitslosigkeit unternahm. Zu Hause auf dem Land bemühte Robert sich wie viele Landbesitzer, in deren Macht es stand, Stellen für die zahlreichen Arbeitslosen zu schaffen, und so wurde auf dem Anwesen ein großer See neu angelegt.
Robert, der der Politik der Nazis so ablehnend gegenübergestanden hatte, schwieg sich zu dem Thema aus, seit er sich in Otto verliebt hatte.
Und nun auch noch diese schrecklichen, besorgniserregenden Nachrichten über Greg. Manche Dinge, sowohl draußen in der Welt als auch in ihrem nahen Umfeld, waren von so viel Dunkelheit und Gefahr überschattet, dass es schier unmöglich war, sich keine Sorgen zu machen.
Blanche blickte aus dem Fenster in die wachsende Dunkelheit.
Jay wäre inzwischen bei Amber gewesen und hätte ihr die Neuigkeiten über Greg berichtet. Natürlich würde sie sich aufregen; Amber konnte von Natur aus gar nicht anders, als mit anderen mitzuleiden, wenn diesen etwas zustieß.
Blanche regte sich ebenfalls auf, das verstand sich von selbst. Ihr Kummer galt aber eher der Tatsache, dass ihr Enkel, die Investition, in die sie so viel Liebe und so viel Hoffnung gesteckt hatte, sich als schlechte Kapitalanlage erwiesen hatte, die immer nur magere Erträge abwerfen würde. Gregs gutes Aussehen verlieh ihm den Glanz und den äußeren Anschein von Ehre und Stärke, doch es steckte nichts dahinter: Es war nichts als schöner Schein.
Blanche war nicht leicht zu schockieren, doch selbst sie war entsetzt gewesen, als sie im Gespräch mit Jay erfahren hatte, dass ihr Enkel vermutlich von Caroline Fitton Leghs Schwangerschaft gewusst und nichts gesagt hatte. Aber warum sollte sie schockiert sein? Unter diesen Umständen hätte sie eigentlich damit rechnen sollen.
Sie hatte Besseres erhofft. Sie hatte geglaubt, er sei ein besserer Mensch, weil er ihr Enkel war. Wie man sich täuschen konnte.
Henry Jardines Brief hatte ein Bild von Greg entworfen, das sie nicht sehen wollte, das Bild
Weitere Kostenlose Bücher