Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
in Macclesfield zerzaust, wenn er, gekleidet wie ein schlichter Landmann, seiner Arbeit nachging. In Jays Leben war kein Platz für festliches Gepränge, Rang und Wohlstand bedeuteten ihm nichts, und er würde nie danach streben. Der Gedanke an ihn machte ihr deutlich bewusst, wie sehr sich ihre Kindheitsträume von ihrem jetzigen Leben unterschieden. Sie schloss die Hand fester um Lucs Hand, worauf er laut protestierte.
Als sie zum Eaton Square zurückkehrten, erfuhren sie, dass Robert nur wenige Minuten vor ihnen nach Hause gekommen war.
Fast sprachlos vor Freude stürzte Luc sich in Roberts Arme, was Amber die Gelegenheit gab, ihren Schock über den Anblick ihres Mannes zu überwinden. Roberts Gesicht war voller Blutergüsse, seine Lippe war aufgeplatzt, und eines seiner Augen war fast zugeschwollen.
»Dein armes Gesicht!«, protestierte sie.
»Ein Unfall. Mehr nicht. Sieht schlimmer aus, als es ist«, erklärte er brüsk.
Er sah schrecklich dünn und krank aus und wich ihrem Blick wohl absichtlich aus, während er Luc umarmte. Sie hatte den Nachmittag in ihrem Laden verbringen wollen, doch angesichts Roberts Zustands beschloss sie, zu Hause zu bleiben.
Vielleicht konnte sie Robert dazu bringen, sich ihr anzuvertrauen. Er wirkte schrecklich unglücklich, obwohl er sein Möglichstes tat, es zu verbergen. In vielerlei Hinsicht war er ihr ein guter Ehemann, selbst wenn er, seit Otto in sein Leben getreten war, kaum noch an den Robert aus ihren National-Gallery-Tagen erinnerte, dessen Gegenwart sie so genossen und dessen Freundschaft ihr so viel bedeutet hatte.
»Luc ist ein feiner Bursche«, sagte Robert später beim Mittagessen zu Amber und fügte zusammenhanglos hinzu: »Ich habe heute Morgen Chips Channon gesehen. Ich habe auf dem Heimweg in Westminster vorbeigeschaut, um herauszufinden, was mit der Aufbahrung ist. Chips ist außer sich vor Freude über die Geburt seines Sohnes. Gott, wie ich ihn beneide, Amber.«
In Roberts heftigen Worten lag so viel Bitterkeit, dass Amber eine Spur Angst um Luc empfand.
»Ich vermute, allen Männern gefällt der Gedanke, ein leibliches Kind zu haben«, war alles, was ihr dazu einfiel.
»Nein, du verstehst mich falsch«, erwiderte Robert sofort. »Ich möchte keinen anderen Sohn als Luc. Wonach ich mich sehne, ist etwas in mir selbst, Amber, denn im Augenblick verrate ich all das, was ich eigentlich sein sollte. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mir wünschte, nicht so schwach und so dumm zu sein, wie sehr ich mir wünschte, Manns genug zu sein, um …« Er stand auf und sagte mit erstickter Stimme: »Wenn es in einer Beziehung zu Gewalt kommt, sollte man wissen, dass man sie beenden muss, aber irgendwie ist mir das unmöglich, der Schmerz wäre so gewaltig, dass ich ihn nicht ertragen könnte.«
Er sank auf einen Stuhl, barg das Gesicht in den Händen, und seine schmalen Schultern zuckten.
Amber wurde von einem fast mütterlichen Mitgefühl erfüllt. Sie trat zu ihm und nahm eine knochige Hand in ihre Hände.
»Kannst du ihn nicht um deiner selbst willen aufgeben, Robert?«, fragte sie ihn traurig.
»Nein«, weinte Robert. »Ich wünschte, ich könnte es, aber ich kann nicht. Ich habe es versucht, Amber, ich habe es wirklich versucht.« Er sah sie voller Verzweiflung und Angst an.
Amber umarmte ihn und hielt ihn so zärtlich und fürsorglich, als wäre er Luc. Sie wollte mit ihm weinen, um ihn weinen, doch das durfte sie nicht. Sie musste stark sein für ihn – für sich und ihre Ehe.
Obwohl Robert so offen über seine Qualen gesprochen hatte, zögerte Amber, Ottos Namen zu erwähnen oder zu viele Fragen zu stellen, weil sie fürchtete, dass er sich dann wieder von ihr zurückziehen würde. Sie war sich sicher, dass sein Liebhaber ihm die Verletzungen im Gesicht zugefügt hatte. Wenn schon sein armes Gesicht grün und blau war, was war dann mit seinem Körper angerichtet worden, den die Welt nicht zu sehen bekam?
Fast als wäre er ihrem Gedankengang gefolgt, hob Robert den Kopf und sagte: »Du darfst niemandem die Schuld geben. Die Schuld liegt allein bei mir. Ich habe mich getäuscht … ich habe ihm die Bürde meiner Liebe aufgeladen. Ich hatte gedacht … und gehofft … Worte und Blicke … Ich wollte ihn nicht beleidigen. Ich hatte geglaubt, er empfinde … Ich sollte nicht mit dir darüber reden.«
Amber spürte seinen inneren Kampf.
»Wenn … jemand dich so unglücklich macht«, sagte sie leise, »dann wäre es vielleicht besser,
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