Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
mich gebeten hat, dich in Kenntnis zu setzen: Das Wichtigste ist wohl, dass Greg nicht allein nach Hause zurückgekehrt ist.«
33
»Wie meinst du das, er ist nicht allein zurückgekommen?«
»Anscheinend gilt es in Hongkong als durchaus akzeptabel, wenn ein unverheirateter Europäer sich eine chinesische Geliebte nimmt.«
Jay sah sie dabei nicht an, sondern konzentrierte sich auf die Straße, doch das hieß nicht, dass sie nicht ihn ansehen konnte. Eine Spur Röte hatte sich in sein Gesicht gestohlen, als fände er das Thema unangenehm und hätte es ihr gern erspart. Unvermittelte Zärtlichkeit überkam sie. Das Leben, das sie an Roberts Seite führte, machte Jays Wunsch, sie zu beschützen, in ihren Augen nur umso süßer und liebenswerter.
»Du meinst, Greg hat seine chinesische Geliebte mit nach Hause gebracht?«
Amber versuchte sich vorzustellen, wie ihre Großmutter darauf reagieren würde, nach all den Hoffnungen, die sie in Greg gesetzt hatte, und all den Plänen, die sie für seine Zukunft als Abgeordneter und würdiges Mitglied der Gesellschaft von Cheshire geschmiedet hatte, zweifellos mit einer Gattin an seiner Seite, durch die er gesellschaftlich noch weiter aufgestiegen wäre.
»Nein.« Nach einer Weile fügte Jay ruhig hinzu: »Sie hat die Reise leider nicht überlebt. Nach allem, was er erzählt hat, musste Greg sich die Rückreise unter oft widrigen Umständen verdienen. Nein, seine Geliebte hat er nicht mitgebracht, aber seine kleine Tochter.« Amber öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Was sollte sie dazu schon sagen? Greg als Vater?
»Wie du dir vorstellen kannst, ist die Lage im Moment ziemlich schwierig«, fuhr Jay fort. »Greg ist gesundheitlich angeschlagen. Deine Großmutter ist zwar erleichtert, dass er noch am Leben ist, aber natürlich auch sehr zornig und erregt, und dann ist da noch dieses Kind. Es ist sehr schwach und zart, Amber, und laut Dr. Brookes ist es auch recht krank. Eigentlich sehr krank«, fügte er bedeutungsvoll hinzu.
»Greg muss außer sich sein vor Sorge, vor allem, nachdem er schon ihre Mutter verloren hat.«
Als Jay nicht antwortete, runzelte Amber die Stirn. »Er muss sie doch lieben, Jay, sonst hätte er sie sicher nicht mitgebracht, oder?«
»Was Gregs Gefühle angeht, kann ich mir kein Urteil erlauben. Ich sollte dich aber warnen, dass er sich sehr verändert hat.«
»Verändert? Wie denn?«
»Ich glaube, davon machst du dir am besten selbst ein Bild. Obwohl er zurück in Macclesfield ist, ist er immer noch nervös und blickt sich dauernd um, als fühlte er sich verfolgt. Deine Großmutter ist natürlich sehr beunruhigt.«
»Du meinst, es beunruhigt sie, wie die Nachbarn darauf reagieren werden, dass Greg zurück ist, und zwar eine Tochter, aber keine Frau mitgebracht hat?«, hakte Amber trocken nach.
»Das ist nicht gerecht, und es ist deiner auch nicht würdig«, wies Jay sie milde zurecht. »Greg hat deiner Großmutter sehr viele Sorgen bereitet.«
Er hatte natürlich recht. »Du bringst mich noch dazu, dass ich mir wie ein … gedankenloses Kind vorkomme.«
»Das ist bestimmt nicht meine Absicht. Es gibt niemanden, den ich mehr bewundere als dich, Amber.«
Sie brauchte einen Augenblick, um dieses Kompliment zu verarbeiten, doch danach konnte sie ihn wieder necken. »Wie, nicht einmal meine Großmutter?«
»Nicht einmal deine Großmutter.«
Jay hatte die Geschwindigkeit gedrosselt, weil vor ihnen ein Traktor die Straße kreuzte.Während er sprach, sah er zu Amber hinüber und schenkte ihr ein so liebes, warmes Lächeln, dass ihr Herz einen Satz machte. Schien die Sonne auf einmal heller?
So geht das aber nicht, wies sie sich streng zurecht. So geht das ganz und gar nicht.
»Erzähl mir von Gregs kleiner Tochter«, wechselte sie entschlossen das Thema.
»Also, wie ich schon gesagt habe, ist sie sehr krank. Ihre Mutter ist anscheinend an irgendeinem Fieber gestorben, das sie sich unterwegs auf See geholt hat. Greg war nicht sehr gesprächig, was die genauen Umstände angeht. Vermutlich bringt er es einfach nicht über sich, im Detail darüber zu sprechen. Der Kapitän des Schiffes, auf dem sie Hongkong verlassen haben, hat sie im nächsten Hafen rausgesetzt, als er gemerkt hat, dass Gregs Geliebte und ihr Kind an Bord waren und Greg für die Überfahrt nicht bezahlt hatte. Kurz darauf ist Gregs Geliebte gestorben.«
»Ach, wie schrecklich.«
»Ja. Das kleine Mädchen – es ist noch nicht mal zwei – hat dieselbe Krankheit
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