Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
verlieh seinen Worten einen neckenden Unterton. »Denn die ganze Nacht kann ich ja wohl nicht bleiben.«
»Aber ich sehe dich morgen?«
Er zögerte.
»Ich muss«, platzte sie heraus. »Ich muss dich sehen, Greg. Wenn du nicht kommst, übernehme ich keine Verantwortung für das, was ich dann tue.«
Es war nicht das erste Mal, dass sie ihm drohte, doch inzwischen erzürnten ihre Drohungen ihn eher, als dass sie ihn erschreckten. Schließlich hatte sie mehr zu verlieren als er, wenn ihre Affäre bekannt wurde.
Als er später nach Hause fuhr, beneidete er Amber um ihre bevorstehende Abreise nach London. Was würde er nicht geben für die Gelegenheit, mehrere Monate dort zu leben, besonders jetzt.
3
Amber war natürlich in Ungnade gefallen. Mehr als zwei Wochen waren seit ihrem Geburtstag vergangen, doch ihre Großmutter begegnete ihr immer noch kalt und sprach nur dann mit ihr, wenn es unumgänglich war.
»Glaubst du, Großmutter hat Barrant de Vries geliebt, Greg?«, fragte Amber ihren Cousin.
Sie hatten sich nach dem Mittagessen im Billardzimmer getroffen. Amber saß im Schneidersitz auf der Fensterbank, während Greg die Spitze seines Queues einkreidete, bevor er sich über den Tisch beugte und sorgfältig eine der Kugeln anvisierte.
»Woher zum Teufel sollte ich das wissen?«, erwiderte er.
Wenn Großmutter Barrant de Vries einmal geliebt hat, warum hasst sie ihn jetzt so sehr?, fragte sich Amber. Sollte sie ihn damals geliebt haben, unterschied sich diese Liebe jedenfalls sehr von der, die zwischen ihren Eltern bestanden hatte.
»Großmutter redet immer noch nicht mit mir. Oh, Greg, wenn ich doch bloß nicht debütieren müsste!« Amber erschauderte.
»Ach, komm schon«, meinte Greg aufmunternd. »So schlimm, wie du es dir jetzt ausmalst, wird es vielleicht gar nicht. Ich dachte, euch Mädchen gefällt es, hübsche Kleider zu tragen und auf Bälle zu gehen. Ich jedenfalls würde mir diese Gelegenheit bestimmt nicht entgehen lassen, mich in London zu vergnügen, das kann ich dir sagen.« Seine Augen glänzten. »Da wären der Kit-Cat Club und das Embassy und der Slipper. Alles Etablissements, wo man sich wirklich amüsieren kann.Vielleicht sollte ich mit Großmutter reden und sie fragen, ob ich dich begleiten darf, dann kann ich dir alle unerwünschten Verehrer vom Hals halten.« Er setzte eine gespielt wilde Miene auf.
Amber kicherte.
»Hör zu: Ich muss später nach Fitton Hall rüberfahren; wenn du magst, kannst du mitkommen. Das wird dich ein bisschen aufheitern.«
Greg war so nett. Amber konnte sich glücklich schätzen, einen so fürsorglichen Cousin zu haben.
»Ich dachte, Großmutter hätte beim Frühstück gesagt, Lord Fitton Legh wäre geschäftlich in London«, meinte Amber.
»Wirklich? Ich kann mich nicht erinnern, aber es macht auch nichts, wenn er nicht da ist. Ich will Lady Fitton Legh nur ein paar Bücher von Großmutter zurückbringen.«
Amber nickte. Sie freute sich darauf, Caroline Fitton Legh wiederzusehen. In der Nachbarschaft hatte es ziemliches Aufsehen erregt, als Lord Fitton Legh eine amerikanische Erbin heimgeführt hatte, die zwanzig Jahre jünger war als er und kaum älter als Amber jetzt.
Blanche saß im selben Wohltätigkeitskomitee wie Caroline Fitton Legh und die verwitwete Marquise von Cholmondeley.
Letztere hatte Amber im vergangenen Jahr an Weihnachten zu einer Kindergesellschaft geladen. Amber erinnerte sich noch, dass es unter den erwachsenen Gästen jede Menge Klatsch gegeben hatte, begleitet von erhobenen Augenbrauen und den Worten »pas devant les enfants«. Es war dabei anscheinend darum gegangen, dass der Duke of Westminster Gabrielle Chanel, deren Kleider ihre Großmutter so schätzte, nach Eaton Hall eingeladen hatte. Unschuldig hatte Amber sich später bei Greg erkundigt, warum die Erwachsenen nicht wollten, dass die Kinder von Mademoiselle Chanels Besuch in Eaton Hall erfuhren, worauf Greg nur gelacht und der schockierten Amber eröffnet hatte: »Weil sie die Geliebte des Herzogs ist, du Gänschen.«
Jetzt jedoch war es weniger das skandalöse Verhalten des Duke of Westminster, das Amber beschäftigte, als die Ehe der Fitton Leghs. Hatten Carolines Eltern gewollt, dass ihre Tochter einen Adeligen heiratete? War sie deswegen Lord Fitton Leghs Frau geworden, obwohl der doch so viel älter war als sie? Amber schauderte. Stand ihr auch so etwas bevor?
Amber eilte nach unten. Unter ihrem cremeweißen Seidenjäckchen trug sie ihr »bestes«
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