Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
gesagt hatte: Caroline Fitton Legh war verheiratet, und Amber wollte nun wirklich nicht, dass ihrem Cousin das Herz gebrochen wurde, weil er sich in jemanden verliebt hatte, der für ihn unerreichbar war und der seine Gefühle niemals erwidern konnte.
4
»Nun, Amber, ich nehme an, du hattest Zeit, über dein unhöfliches Benehmen nachzudenken und einzusehen, dass eine Entschuldigung fällig ist?«
Warum soll ich mich für die Bemerkung entschuldigen, dass ich nicht bei Hofe vorgestellt werden will, wenn es doch der Wahrheit entspricht?, dachte Amber ungehalten, doch statt ihren rebellischen Gedanken Ausdruck zu verleihen, senkte sie den Kopf und sagte gehorsam: »Ja, Großmutter.«
»Sehr gut, wir werden kein Wort mehr über die Angelegenheit verlieren«, erklärte Blanche gnädig und wartete einige Sekunden, bevor sie fortfuhr: »Du reist also Anfang des neuen Jahres nach London. Es ist alles arrangiert.«
»Aber Großmutter, ich weiß gar nicht, wie das mit meinem Debüt gehen soll. Man kann doch nur bei Hofe präsentiert werden, wenn man jemanden hat, der einen vorstellt«, haspelte Amber voller Verzweiflung. An diese Hoffnung hatte sie sich geklammert: dass ihre Vorstellung unmöglich sein würde.
Was sie gesagt hatte, entsprach schließlich der Wahrheit. Im Internat war es Amber oft genug eingetrichtert worden: Ihre Großmutter mochte sehr viel mehr Geld besitzen als die Familien der meisten Mitschülerinnen, doch diese besaßen etwas, das viel wichtiger war: einen Stammbaum, Verbindungen und einen Adelstitel, und einige hatten sie sehr schnell spüren lassen, dass sie sich ihr gesellschaftlich weit überlegen fühlten. Einige, aber nicht alle. Nicht Beth – oder eigentlich Lady Elizabeth Levington -, ihre beste Kameradin, der Amber für ihre Freundlichkeit auf ewig dankbar sein würde.
Amber hatte sogar darüber gelacht, dass sie nicht mit Beth zusammen debütieren würde, und wahrheitsgemäß zu ihr gesagt, dass sie froh darüber sei, dass ihr das erspart bliebe. Soweit sie gehört hatte, war die Saison kaum mehr als ein kaltblütiger Reigen, um junge Frauen so schnell und so angemessen wie möglich unter die Haube zu bringen.
»Ich weiß sehr wohl, nach welchen Regeln Debütantinnen bei Hofe vorgestellt werden, Amber.« Die Stimme ihrer Großmutter war jetzt ebenso scharf wie kalt. »Es ist bereits arrangiert, dass Lady Rutland dich bei einem der offiziellen Empfänge der Saison zusammen mit ihrer Tochter bei Hofe präsentieren wird.«
Amber wurde übel. Die Hoffnung, an die sie sich geklammert hatte, hatte sich als haltlos erwiesen. Was sollte sie jetzt machen? Es war sinnlos, sich einzureden, sie könnte sich ihrer Großmutter widersetzen, sie wusste, dass das unmöglich war. Sie würde nach London zu Lady Rutland verfrachtet werden, ob es ihr gefiel oder nicht.
Lady Rutland? Der Name kam ihr bekannt vor. Woher …? Und dann dämmerte es ihr, und ihre Verzweiflung wuchs. Lady Rutland war Louises Mutter! Sie würde zusammen mit der Ehrenwerten Louise Montford debütieren, die sie abgrundtief verabscheute, weil sie im Internat besonders gemein zu ihr gewesen war.
Aus der Vergangenheit hörte sie in ihrem Kopf den Nachhall von Louises Worten.
»Vrontsky? Was ist denn das für ein Name?«, hatte sie sie am ersten Tag im Internat verhöhnt.
»Es ist der Name meines Vaters. Ein russischer Name«, hatte Amber stolz erwidert.
Louise hatte sie im Internat gerne als das »Fabrikmädchen aus Macclesfield« verspottet, um Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass sie keine Ahnentafel und keine adelige Herkunft besaß, während sie fortwährend mit ihrer eigenen prahlte.
Amber konnte es nicht fassen, dass Louises Mutter sie präsentieren würde. Nach dem, was Beth gesagt hatte, war Lady Rutland ein noch größerer Snob als Louise, sowohl arrogant als auch stolz. Stolz, aber arm.
Ein frostiger Verdacht setzte sich in Ambers Gedanken fest. Sie hatte in den kurzen Wochen seit ihrem Geburtstag gelernt, alles zu hinterfragen. Hatte ihre Großmutter sich Lady Rutlands Unterstützung erkauft, genau wie sie Amber einen adeligen Ehemann kaufen wollte?
Ihre Großmutter sprach noch, doch Amber hörte längst nicht mehr zu. Als ihre Großmutter gesagt hatte, sie wolle sie nach London schicken, hatte sie gedacht, schlimmer könnte es nicht mehr kommen, doch da hatte sie sich weidlich getäuscht.
Es tat gut, allein zu sein, als sie den Laubengang durch den im Schatten liegenden formalen Garten ihrer Großmutter
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