Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
ich nicht. Niemand wird mit dir reden oder irgendwas mit dir zu tun haben wollen. Das weißt du ja wohl, oder? Ich werde allen sagen, wer du in Wirklichkeit bist.«
»Willst du ihnen auch erzählen, dass meine Großmutter deine Mutter dafür bezahlt, dass sie mich in die Gesellschaft einführt?«, erkundigte sich Amber ruhig.
Louises Wangen liefen puterrot an, was Amber verriet, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Zu ihrer Erleichterung machte Louise ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz kehrt.
Dieser Wortwechsel sollte sich als symptomatisch für ihre ganze Beziehung erweisen.
Falls Lady Rutland wusste, wie feindselig sich ihre Tochter Amber gegenüber verhielt, so ließ sie es sich nicht anmerken. Amber hätte Lady Rutland nicht eben als liebevolle Mutter bezeichnet, die grundsätzlich Partei für ihre Tochter ergriff. Sie gewann im Gegenteil den Eindruck, dass sie Louise ebenso kalt behandelte wie Amber selbst. Nicht dass Louise das etwas ausgemacht hätte, genauso wenig wie die Tatsache, dass ihre Mutter kaum für sie da war, weil sie ein reges Gesellschaftsleben führte. Und Louises Mutter sorgte auch nicht dafür, dass die beiden Mädchen unter Aufsicht einer Anstandsdame standen, wie es Ambers Großmutter sicher getan hätte.
Amber wäre schrecklich gern nach Macclesfield zurückgekehrt. Sie vermisste Gregs Neckereien und seine albernen Witze, und Jay vermisste sie auch. Als sie damals ins Internat geschickt worden war, hatte sie auch schreckliches Heimweh gehabt, aber das hier war anders. In der Schule hatte sie noch geglaubt, sie hätte etwas vor sich, worauf sie sich freuen könnte, eine Zukunft, die sie selbst gestalten könnte. Nun graute ihr vor dem, was vor ihr lag.
Ein Dienstmädchen war eingestellt worden, um die beiden Mädchen zu ihren Unterrichtsstunden zu begleiten, aber anscheinend hatte Lady Rutland andere Aufgaben für sie gefunden, denn binnen einer Woche nach Abreise ihrer Großmutter machte Amber die Erfahrung, dass sie ganz allein zu dem kleinen Haus der Comtesse in der Nähe des Kaufhauses Harrods gehen sollte. Louise hatte erklärt, sie habe es nicht nötig, französische Konversation zu treiben oder den letzten gesellschaftlichen Schliff zu erhalten.
Da die Comtesse sich ungern von ihrem warmen Kamin entfernte, bestand dieser gesellschaftliche Schliff für Amber hauptsächlich darin, den Bekannten der Comtesse beim nachmittäglichen Tee-und-Plauder-Stündchen zuzuhören.
Für eine junge Frau war es ein einsames Leben.
Amber war sich bewusst, dass Lady Rutland Louise zu Lunch- und Teegesellschaften mitnahm, von denen Amber ausgeschlossen blieb: Louise berichtete nur zu gern davon, bevor sie ihr höhnisch grinsend erklärte, es handele sich dabei um Familienfeiern, zu denen man Amber natürlich nicht eingeladen habe. Gleichzeitig gab sie ihr aber zu verstehen, dass es sich in Wirklichkeit um kleine, von den Müttern der anderen Debütantinnen veranstaltete Gesellschaften handelte, von denen sie Amber absichtlich ausschlossen.
Scharfsinnig fragte Amber sich, wie viel davon auf ihre Herkunft zurückzuführen war und wie viel auf Lady Rutlands Widerstreben, sich durch ihre Anwesenheit an ihre finanziellen Probleme erinnern zu lassen.
Amber wusste, dass ihre Großmutter der Ansicht gewesen wäre, Lady Rutland halte sich nicht an ihren Teil der Abmachung, aber ihr war es gleichgültig, dass sie zu den Gesellschaften der Vorsaison nicht eingeladen wurde. Im Grunde war sie sogar froh, dass sie nicht hinzugehen brauchte.
Trotz des kalten Winterwindes verlangsamte Amber ihre Schritte, als sie sich der Tanzschule Vacani näherte, wo sie ihre morgendliche Übungsstunde absolvieren sollte.
Inzwischen graute ihr vor dem Unterricht. Nicht wegen der Lehrer – die waren die Freundlichkeit in Person -, sondern weil ein paar Mädchen sofort gesehen hatten, wie schwer sich Amber mit dem Hofknicks tat, und sich unter Louises Führung einen Spaß daraus machten, sie hinter dem Rücken der Lehrer zu verspotten.
Nun fürchtete Amber sich vor den Tanzstunden und ihrer eigenen Demütigung. Sie hatte den Eindruck, je mehr sie sich bemühte, desto weniger gelang es ihr, sich in der korrekten Position neben der Ballettstange aufzustellen, die Hand auf die Stange zu legen, langsam in die Hocke zu gehen und sich dann elegant und mit geradem Rücken wieder aufzurichten. Diese Übung mussten die Debütantinnen zur Zufriedenheit ihrer Lehrer meistern, bevor sie zur nächsten Stufe übergehen
Weitere Kostenlose Bücher