Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Sein Schweigen lenkte sie auf die Frage, die sie nicht stellen wollte, deren Antwort sie aber wissen musste. Sein Schweigen hatte ihren verzweifelten Versuch erschöpft, die Frage zu umgehen.
»Geht es meinem Mann gut?«
Sie wusste es, bevor er antwortete, seine Miene und sein Schweigen verrieten es ihr. Dieser Mann hätte Schauspieler werden sollen, so viel konnte er durch einen einzigen Blick übermitteln.
»Es tut mir leid. Sowohl Ihr Gatte als auch Ihr Sohn sind tot.«
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»Nein. Nein … das kann nicht sein. Das kann nicht wahr sein.«
»Es tut mir sehr leid, Euer Gnaden, aber ich fürchte, es ist so.«
»Sie sind tot? Beide?«
»Ja.«
Sie zitterte unkontrollierbar. Sie durfte nicht zusammenbrechen. Sie musste an ihre Verantwortung gegenüber Robert denken – und gegenüber Luc. Das Zittern wurde immer heftiger, trotzdem fragte sie: »Wie? Wie ist es passiert?«
Der Inspector kniff den Mund zusammen. Amber spürte, dass er es ihr nicht sagen wollte.
»Sie müssen es mir sagen«, beharrte sie. »Sie müssen.«
»Also schön. Ein gepanzertes Armeefahrzeug zog auf die andere Straßenseite, um einem Radfahrer auszuweichen, ohne zu merken, dass Ihr Mann ihm entgegenkam.« Er unterbrach sich und fuhr dann leise fort: »Falls es Ihnen ein Trost ist … so, wie wir sie gefunden haben, ist offensichtlich, dass Ihr Mann versucht hat, den Jungen zu schützen.«
Trost? Wie sollte ihr das ein Trost sein?
»Gibt es jemanden, den wir informieren sollen? Ein Familienmitglied vielleicht oder eine gute Freundin?«
»Nein. Niemanden.« Ambers Stimme war flach und hart. Wie viel Schuld trug sie an dem Unglück, weil sie nicht an Robert und Luc gedacht hatte, weil sie sie nicht in ihre Liebe eingehüllt hatte, weil sie stattdessen an Jay gedacht hatte, weil sie über die Freiheit gejubelt hatte, die es ihr erlauben würde, mit ihm zusammen zu sein, wenn sie nach Macclesfield fuhr?
»Wir müssen uns um gewisse Formalitäten kümmern.«
Sie sah den Inspector an, als hätte sie keine Ahnung, wer er war.
»Ich verstehe, dass das ein schrecklicher Schock für Sie sein muss, Euer Gnaden, aber es gibt gewisse wichtige Formalitäten, um die wir uns kümmern müssen«, wiederholte er. »Vielleicht könnte ein guter Freund Ihres verstorbenen Mannes …«
Irgendwie brachte sie es fertig, ihre Schuldgefühle beiseitezuschieben und energisch zu sagen: »Ich war die beste Freundin meines Mannes. Welche Formalitäten?«
Er antwortete nicht gleich, doch sie wartete.
»Das Gesetz verlangt, dass ein Mensch, der unter solchen Umständen ums Leben kommt, offiziell identifiziert wird.«
»Identifiziert? Warum? Was? Ich kann sie identifizieren. Ich will sie sehen«, sagte sie, als seine Miene sich verschloss. »Ich muss sie sehen. Das müssen Sie mir erlauben. Ich bestehe darauf.«
»Sehr wohl, Euer Gnaden«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Wenn ich Ihr Telefon benutzen dürfte, dann lasse ich einen Wagen kommen, doch ich würde Ihnen dringend raten, eine andere Person zu benennen.«
»Es ist meine Pflicht und meine Verantwortung. Mein Mann würde es von mir erwarten«, antwortete Amber, und während sie es aussprach, wusste sie, dass es stimmte. »Ich habe meine Manieren vergessen, Inspector«, fügte sie hinzu und ging die Tür öffnen. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken und vielleicht auch eine Kleinigkeit zu essen anbieten?«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Euer Gnaden, aber ich bin im Dienst. Haben Sie jemanden, der Sie begleiten könnte? Vielleicht eine Freundin?«
Amber schüttelte den Kopf und rief den Butler herbei.
»Der Inspector muss telefonieren«, sagte sie zu ihm. »Wenn Sie ihm gezeigt haben, wo das Telefon ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie das Personal zusammenriefen und es hierher in seine … in die Bibliothek bringen, Chivers.«
Was sie ihnen zu sagen hatte, war eine reine Formalität, vermutete Amber, denn wie jeder Butler, der etwas taugte, wusste Chivers inzwischen, warum der Inspector gekommen war.
Amber wurde in ihrer Vermutung bestätigt, als die Köchin schon in Tränen aufgelöst hereinkam. Nanny, die augenscheinlich schon ihr Gebiss herausgenommen hatte, um ins Bett zu gehen, sah sehr alt aus, während Roberts Kammerdiener schwer getroffen wirkte.
»Man hat mich gerade darüber informiert, dass es einen Unfall gegeben hat, bei dem …« Ambers Stimme drohte zu brechen. Sie war nicht nur Roberts Frau, sie war seine Stellvertreterin, ermahnte sie sich, und sie musste sich
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