Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
dir?«
Louise zuckte die Schultern. »Ja, ich bleibe. Wo soll ich auch hin? Ich denke sogar daran, mir hier im Ritz ein Zimmer zu nehmen.«
Wie Robert vorausgesagt hatte, war im Ritz sehr viel los. Sie entdeckten so viele Freunde und Bekannte, dass das Ganze eher den Anstrich einer etwas surrealen Party bekam. Die Männer standen mit ernsten Gesichtern beieinander, gleichzeitig aber wirkten sie entschlossen und fast ein wenig aufgeregt. Die Frauen sahen ängstlich und müde aus; sie alle machten sich Sorgen wegen ihrer Familien und der Probleme, die das Ausräumen der großen Londoner Häuser mit sich brachte, ehe sie sich auf das sicherere Land zurückziehen konnten.
»Neulich bin ich Sydney Redesdale begegnet«, meinte jemand. »Wie schrecklich, dass ihre beiden Töchter Hitler so unterstützen, auch wenn sie sich natürlich nichts anmerken lässt.«
Diana war nun mit Tom Mosley verheiratet und hatte vor kurzem ihren dritten Sohn zur Welt gebracht, Alexander, und Unity lebte, soweit Amber wusste, in Deutschland. Wirklich, die arme Lady Redesdale.
»Emerald Cunard ist wütend, weil der Krieg ihr die Dinnergesellschaften ruiniert.« Louise blies einen Rauchring. »So ein glamouröser, unenglischer Name, habe ich immer gefunden – Emerald.«
War Louise absichtlich boshaft, überlegte Amber, oder nur ein wenig mutwillig? Sie hatte jedenfalls keinen Grund zu der Vermutung, Ambers Tochter Emerald sei ein wenig »unenglisch«, wie sie es formuliert hatte. Was Jean-Philippe anging, hatte Amber sich nie jemandem anvertraut. Bis auf Jay und Robert natürlich.
Die Woche darauf war sonnig und warm – auch wenn niemand Zeit hatte, das Wetter zu genießen. Nicht, wo noch so viel zu tun war, nachdem sie sich jetzt offiziell im Krieg befanden.
In ganz London wurden die Häuser der Reichen und Adeligen geschlossen, manche Hausbesitzer veranstalteten sogar traurige kleine »Ausweihungsfeiern«. Nur Joe Kennedy, der amerikanische Botschafter, gab immer noch große Gesellschaften und erzählte jedem, der es hören wollte, England begehe Selbstmord.
Amber hatte mit ihrer Großmutter telefoniert; Blanche schien die Aussicht auf Krieg eher zu genießen, als Angst davor zu haben. Aus dem Haus am Eaton Square war endlich alles herausgeräumt worden, was irgendwie Schaden nehmen konnte. Nur noch die lebensnotwendigen Dinge befanden sich darin.
Der Lakai, der zweite Lakai und der Chauffeur waren einberufen worden, und die Dienstmädchen sowie überraschend auch die Haushälterin Mrs Evans waren weggegangen, um kriegswichtige Arbeit zu verrichten, sodass nur noch der Butler, die Köchin und die Kinderfrau zurückblieben.
Lucs Koffer stand für seine Rückkehr in das ebenfalls evakuierte Internat bereit, und auch Ambers und Emeralds Koffer waren für die Abreise nach Macclesfield gepackt.
Lucs Abreise fiel auf einen weiteren sonnigen Tag. Robert hatte vorgeschlagen, Amber und Emerald sollten sie begleiten, aber nachdem Emerald zu Reiseübelkeit neigte und Amber versprochen hatte, eine der Frauen des Women’s Voluntary Service zu vertreten, deren Ehemann am nächsten Morgen nach Frankreich ausrückte, hatte sie entschieden, nicht mitzufahren.
Luc wuchs so schnell, er würde wohl einmal groß werden, genau wie sein Vater, sagten die Leute oft.
Er hatte das Alter erreicht, in dem ihn mütterliche Umarmungen und Küsse verlegen machten, ließ sie aber noch über sich ergehen, ohne dabei allzu rot zu werden.
Bei seinem Hund Bruno, der sich als schussscheu und daher jagduntauglich erwiesen hatte und nach London übersiedeln musste, als Osterby von der Schule übernommen wurde, fiel es ihm leichter, Zuneigung zu zeigen. Er umarmte den Labrador fest und sagte dann streng zu Amber, sie dürfe ihn nicht mit zu vielen Leckerbissen verwöhnen, während er in der Schule war.
Ernst versprach Amber ihm, alle seine Wünsche bis ins Detail zu befolgen.
Robert hob Emerald hoch, damit sie ihren Bruder zum Abschied einen Kuss gab, dann küsste ihr Vater sie, und dann wiederholten sie die Prozedur, nachdem Robert und Luc sich von den restlichen Dienstboten verabschiedet hatten und sie zu viert draußen im warmen Sonnenschein standen.
Noch eine kurze Umarmung von Luc, ein Küsschen von Robert, dann saßen die beiden im Wagen und machten sich auf den Weg.
Amber nahm Emerald auf den Arm und sah ihnen nach, bis sie außer Sichtweite waren. Dann ging sie ins Haus zurück.
Ein paar Stunden später, Amber wollte gerade das Haus verlassen,
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