Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
einander zugewandt, und sie erkannte jetzt, dass Roberts Arm um Luc lag.
»Können Sie das hier identifizieren, Euer Gnaden?«, fragte der Inspector und holte eine kleine Schachtel hervor, um Amber deren Inhalt zu zeigen.
»Ja, das ist der Siegelring meines … des Herzogs«, antwortete sie.
Sie wünschte sich verzweifelt, Luc halten zu können, ihre Sehnsucht bereitete ihr körperlichen Schmerz. Sie löste ihre Hand aus der Hand der Oberschwester und ging um das Bett herum, um ihren Sohn anzusehen. Seine Augen waren geschlossen, und sie hatte das Bedürfnis, sie zu öffnen, um sie anzusehen. Er hatte so schöne, aufrichtige Augen. Auf seiner Stirn war ein dunkler blauer Fleck, doch davon abgesehen wies sein Gesicht keine Verletzungen auf. Er hätte genauso gut auch schlafen können.
Sie wandte sich nach der Oberschwester um, und diese sagte, als hätte sie erraten, was Amber wissen wollte: »Er hat sich bei dem Zusammenstoß das Genick gebrochen. Er war sofort tot und hat nichts gespürt.«
Amber nickte und richtete den Blick wieder auf Luc. Sie beugte sich über ihn und küsste seine kalte, reglose Wange. Es war schwer, zu glauben, dass dies wirklich Luc war, ihr Sohn. Ihr Baby. Ihr Baby. Amber streckte die Hand aus, sie wollte ihn in die Arme nehmen, ihn halten und halten, wollte ihn von diesem Ort wegbringen, der kein Ort für ein Kind war, und ihn mit in die Welt der Lebenden nehmen.
»Sie waren sehr tapfer, meine Liebe. Seien Sie noch ein wenig länger tapfer und verabschieden Sie sich von ihm.« Die Stimme der Oberschwester, freundlich, aber bestimmt, bekräftigte, genau wie ihre Hand auf Ambers Arm, was Wirklichkeit war und was nicht.
Auf der anderen Seite des Bettes lag Robert, genau wie Luc, mit geschlossenen Augen.
Wie gut er aussah, sein Haar immer noch dicht und nur leicht ergraut. Es fiel ihm nachlässig in die Stirn, hing ihm fast in die Augen. Das würde ihm nicht gefallen. Amber streckte automatisch die Hand aus, um es zurückzustreichen.
Der Inspector und die Oberschwester bewegten sich so zielstrebig und entsschlossen auf sie zu, dass sie Ambers Aufmerksamkeit erregten. Sie schaute auf und runzelte dann die Stirn, als sie spürte, wie Roberts Haut sich unter ihren Fingerspitzen bewegte. Rasch richtete sie den Blick wieder auf ihren Mann.
»Euer Gnaden …«
»Nein!« Dumpfes Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu.
»Es ist in Ordnung, Euer Gnaden. Es ist alles gut. Oberschwester, schnell, einen Stuhl …«
»Nein … es geht mir gut … wirklich.«
Die Worte hatten keine Bedeutung, sie waren nur eine Floskel, die ihr eben in den Sinn kam. Wie konnte es ihr gut gehen, wo sie gerade gesehen hatte, dass Robert keinen Kopf mehr hatte? Keinen richtigen zumindest. Sie sah jetzt die Linie, wo die Haut zusammengenäht worden war. Sie war unter der »nachlässigen« Haarsträhne verborgen gewesen. Und unter dem Haar, wo sein Hinterkopf hätte sein sollen, war nichts.
Sie durfte ihr Entsetzen nicht zeigen, genauso wenig wie ihre Übelkeit. Es wäre eine Beleidigung gegenüber Robert, und das verbot sie sich. Er hatte etwas Besseres verdient. Sie hatte sich schließlich schon einmal von ihm zurückgezogen, angewidert von dem, was sie gesehen hatte. Sie musste ihm ihre Liebe und ihren Respekt erweisen, sie musste ihn für all das ehren, was er gewesen war, sie durfte nicht an die schreckliche Leere unter dem dunklen Haarschopf denken.
»Vielen Dank, dass Sie meinen Mann und meinen Sohn so nebeneinandergelegt haben, Oberschwester. So hätte mein Mann es auch gewollt. Er hat seinen Sohn sehr geliebt.«
»Das ist die richtige Einstellung«, sagte die Oberschwester anerkennend.
Sie konnte nicht trauern. Wie sollte sie trauern, wenn sie nicht akzeptieren konnte, dass sie von ihr gegangen waren? Ja, sie hatte mit dem Krankenhauspersonal gesprochen und ihnen für die fürsorgliche Behandlung der Leichen ihres Mannes und ihres Sohnes gedankt. Ja, sie hatte mit dem Leichenbestatter gesprochen und ihn darüber informiert, dass Roberts Kammerdiener Robert und Luc ankleiden würde. Ja, sie hatte mit dem örtlichen Pfarrer gesprochen und ihm erklärt, dass Robert und Luc zusammen in der Familienkrypta in Osterby beigesetzt werden sollten, doch all das bedeutete nichts, denn nichts davon war wirklich. Wie konnte es auch? Wie konnten Robert und Luc tot sein? Es war schlicht unmöglich.
Als sie zurück an den Eaton Square kam, wartete Jay dort auf sie.
Der Butler hatte ihn angerufen und informiert,
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