Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Herzogswürde von ihm erben würde. Deswegen hat er in seinem Testament verfügt, dass der Großteil seines Privatvermögens an Ihre Tochter geht, treuhänderisch verwaltet. Sie werden als einer der Treuhänder genannt.
Es gibt noch ein zweites, jedoch kleineres Treuhandvermögen für Luc, das im Falle seines Todes direkt an seinen Erben oder, andernfalls, an seine Schwester fällt. Zusätzlich wird Ihnen ein Betrag vermacht, doch ich muss Sie leider darauf hinweisen, dass es kein großer Betrag ist, eher eine Zuwendung, mehr nicht, und die Forderung, dass Ihr Sohn Ihnen, solange Sie es wünschen, ein angemessenes Haus zur Verfügung stellt. Ich möchte Ihnen versichern, dass diese Vorkehrungen für die Lebensumstände Ihres verstorbenen Gatten vollkommen normal sind und in keiner Weise widerspiegeln, was er für Sie empfunden hat.«
Amber rang sich ein dünnes Lächeln ab, um den Anwalt zu beruhigen.
»Es ist in Ordnung, Mr Melrose«, erklärte sie ihm ruhig. »Robert hat mit mir über sein Testament gesprochen, nachdem er es nach Emeralds Geburt neu aufgesetzt hat. Meine einzige Sorge war, dass es leicht Glücksritter anziehen könnte, wenn er Emerald ein so großes Treuhandvermögen hinterlässt.«
»Ja, in der Tat, eine sehr berechtigte Sorge, falls ich mir die Bemerkung erlauben darf, Euer Gnaden. Doch unter den gegebenen Umständen mag es möglicherweise bedauerlich sein, dass der verstorbene Herzog Ihnen nicht mehr hinterlassen hat. Man kann es nicht direkt einen Hungerlohn nennen, aber …«
»Nein, allerdings nicht«, stimmte Amber ihm entschlossen zu.
»… es ist auch kein großer Betrag, besonders nicht …«
»Mr Melrose, ich versichere Ihnen, dass ich mir nicht die geringsten Sorgen wegen des Geldes mache. Ich werde mit Emerald nach Macclesfield zurückkehren und bei meiner Großmutter leben. Es war der Wunsch meines verstorbenen Mannes, dass wir London verlassen und einen sichereren Ort aufsuchen.«
»Ja, ein weiser Entschluss.«
»Was jedoch die Erbschaftssteuern angeht …«
»Wie gesagt, ich muss erst einige Berechnungen anstellen, bevor ich sie genau beziffern kann. Es muss natürlich alles taxiert werden, und das braucht seine Zeit. Am Ende könnte es vermutlich notwendig werden, einige der Vermögenswerte der Herzogswürde zu veräußern, um die Erbschaftssteuer zu begleichen, doch das können wir erst zu einem späteren Zeitpunkt besprechen.«
Amber neigte den Kopf in schweigender Zustimmung. Sie würde alles Geld der Welt geben, wenn sie dafür ihren Mann und ihren Sohn wiederbekommen könnte.
49
Dezember 1939
»Raffiniert«, sagte Maurice bewundernd zu Amber, als sie beide das Stück Seide studierten, das Amber auf den Schreibtisch zwischen sie gelegt hatte.
»Nun, eigentlich ist es nicht mein Verdienst«, meinte Amber. »Ich habe Clayton Huttons ursprüngliche Idee nur noch ein wenig verfeinert. Als Sie mir erzählt haben, dass Walter Ellison von Brocklehurst Whiston mit Clayton zusammenarbeitet, um für die Fliegerausrüstung Landkarten auf Seide zu drucken, schien es mir sinnvoll, ein paar nützliche Redewendungen in den entsprechenden Sprachen hinzuzufügen. Wie Sie sehen, habe ich die Redewendungen in verschiedene Sprachen aufgeteilt – für die Europakarten in Deutsch, Französisch und Holländisch.«
Ihre Großmutter hatte vorgeschlagen, Amber solle mehr Anteil an der Fabrik nehmen. Zuerst war Amber so sehr in ihrer Trauer und ihren Schuldgefühlen versunken, dass sie sich nicht vorstellen konnte, je loslassen zu wollen, und hatte den Vorschlag weit von sich gewiesen, doch ihre Großmutter war hartnäckig geblieben. »Du bist weder die erste noch die einzige Frau, die je Mann und Sohn verloren hat, wirklich nicht, Amber«, hatte sie ihre Enkelin scharf ermahnt. »Ich habe meine beiden … ich habe deinen Großvater verloren und meinen Sohn. Trauere um sie, aber vergiss nicht, dass du auch den Lebenden verpflichtet bist.«
Ihre Großmutter hatte die Herausforderung, welche die Regierung den britischen Frauen gestellt hatte, mit der gewohnten Entschlossenheit und Energie angenommen. Sie war die führende Persönlichkeit der Ortsgruppe des Women’s Voluntary Service . Sie und Jay hatten überlegt, wie der Ernteertrag des Guts zu steigern war, und in dem hastig umgebauten Stall des Gutshofs waren bereits zwölf Landmädchen untergebracht, junge Frauen, welche die Männer im Krieg bei der landwirtschaftlichen Arbeit vertraten. Die Mitglieder des Haushalts, die jung
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