Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Weihnachtsmann wünsche?«, fragte Jane eifrig.
»Das darf man doch niemandem erzählen«, wandte Ella ein, doch Jane ignorierte sie.
»Ich will ihn um eine neue Mummy bitten.«
Schweigen senkte sich über den Raum. Amber brachte kein Wort heraus, in ihrer Kehle saß ein Kloß aus Schmerz und Trauer.
»Meine Güte, Lady Emerald, nun sehen Sie sich doch Ihr Gesicht an!« Das Geschimpfe der Kinderfrau durchbrach das Schweigen, doch Amber runzelte die Stirn. Sie hatte den Dienstboten ausdrücklich untersagt, Emerald mit ihrem Titel anzureden. Ihre Tochter hielt sich ohnehin schon für etwas Besonderes, Amber wollte sie in diesem Glauben nicht auch noch unterstützen.
»Was ist mit dir, Rose?«, fragte sie ihre Nichte. »Was soll dir der Weihnachtsmann bringen?«
»Ein Püppi«, erklärte Rose.
Amber lächelte. Sie hatte schon bei Harrods angerufen und die Geschenke für die Kinder bestellt. Alle waren der Meinung, man sollte dieses Weihnachten noch richtig feiern, da man nicht wissen konnte, was das nächste Jahr bringen würde. Vermutlich würden die Lebensmittel rationiert werden, und jeder wusste, dass es die tapferen Seeleute der britischen Kriegsund Handelsmarine waren, welche ihr Leben riskierten, um die dringend benötigten Vorräte ins Land zu holen.
Am Abend, als die Kinder bereits im Bett lagen und ihre Großmutter bei einer Sitzung des Komitees war, saß Amber in der Küche und stopfte. Plötzlich hörte sie, wie es an der Haustür klingelte. Sie runzelte die Stirn, denn den Haupteingang benutzten sie eigentlich gar nicht mehr.
Sobald sie in die Haupthalle trat, begann sie in der eisigen Kälte zu schaudern.
Als sie die Tür öffnete, sah sie sich einem sehr hübschen jungen Mädchen in der Uniform der Landarmee gegenüber. Ihr herzförmiges Gesicht war von dunklen Locken umrahmt, und ihre blauen Augen blickten arglos und freundlich.
»Ach, herrje, hoffentlich habe ich nichts falsch gemacht«, begann sie. »Man hat mir gesagt, ich solle die erste Abzweigung nehmen, aber es ist so dunkel, dass ich vielleicht ein bisschen durcheinandergeraten bin.«
»Bitte kommen Sie herein«, forderte Amber sie auf und schloss die Haustür. »Wen suchen Sie denn? Selbst wenn Sie hier nicht richtig sind, kann ich Ihnen bestimmt weiterhelfen.«
»Ach, wie furchtbar freundlich von Ihnen. Ich bin auf der Suche nach Jay Fulshawe. Ich gehöre zu den Landmädchen, die dem Gutshof zugeteilt sind, und er sagte, wenn ich Probleme hätte, könnte ich mich an ihn wenden.«
»Ja, verstehe«, antwortete Amber, und natürlich verstand sie. Natürlich. Dieses hübsche Mädchen mochte ja unschuldig aussehen und klingen, aber offensichtlich hatte sie Gefallen an Jay gefunden.
Und Jay? Gefiel sie ihm auch? Schließlich hatte er ihr das Gefühl vermittelt, sie könne sich jederzeit an ihn wenden.
»Jay ist im Moment leider nicht hier.Vielleicht ist er auf dem Gutshof, Miss …?«
»Belinda. Belinda Whitington«, stellte sich das Mädchen mit eifrigem Lächeln vor. »Aber alle nennen mich Bunty.«
»Nun, Bunty, ich lasse Jay wissen, dass Sie ihn sprechen möchten, aber ich weiß nicht, wann er zurückkommt.« Amber hatte den Verdacht, dass Jay abends so lange arbeitete, um Denham Place fernbleiben zu können, weil zwischen ihnen so große Kälte herrschte.
»Das ist furchtbar nett von Ihnen. Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht, wie diese Landmädchengeschichte wirklich werden würde«, vertraute sie Amber an. »Ich meine, selbstverständlich will man seinen Teil beitragen, aber ich bin gar nicht von selbst auf die Idee gekommen, zu den Landmädchen zu gehen; meine Tante hat es vorgeschlagen. Aber es ist einfach wunderbar, für Mr Fulshawe zu arbeiten.«
Bunty schwärmt ganz offensichtlich für Jay, dachte Amber, nachdem sie sich von ihrem unerwarteten Gast verabschiedet hatte.
Zurück in der Küche, schrieb Amber für Jay einen Zettel und lehnte ihn gegen den Wasserkessel, wo er ihn gleich beim Hereinkommen sehen würde.
Ob Jay wusste, dass Jane sich eine neue Mummy wünschte? Dachte er vielleicht sogar schon darüber nach, seinen Töchtern eine liebevolle Stiefmutter und sich eine neue Frau zu suchen? Das Gefühl, das sie durchzuckte, war kein richtiger Schmerz. Warum auch? Jay bedeutete ihr nichts mehr.
Sie trat an den Herd, um Milch warm zu machen und eine Tasse Kakao zu kochen. Heute konnte sie genauso gut früh zu Bett gehen. Die Köchin hatte Ausgang, die Kinder lagen im Bett, ihre Großmutter war unterwegs,
Weitere Kostenlose Bücher