Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
wurde.
Andererseits wurde sie durch die Anwesenheit von Jays Töchtern ständig an Jay erinnert, und das gefiel ihr ganz und gar nicht.
Die ganze Woche über war die Temperatur schon gefallen. Der Himmel hing still und schwer über den Hügeln und kündigte Schnee an. Als sie durch die Stadt nach Hause fuhr, sah Amber am Bahnhof eine große Anzahl junger Männer in Uniform, die offensichtlich über Weihnachten Urlaub bekommen hatten, viele in Begleitung ihrer Liebsten oder ihrer Familien. Der Schmerz, der nie fern war, schloss sich wieder um ihr Herz, und sie trauerte um ihren Verlust und den Verlust, der so vielen Frauen noch bevorstand.
Amber parkte ihren kleinen Austin im Hof neben der Küchentür. Inzwischen nutzte fast niemand mehr den Haupteingang, nicht einmal ihre Großmutter.
Greg hatte sie verspottet, als sie den Austin gekauft hatte, kurz nachdem sie in wenigen Wochen fahren gelernt hatte; streitsüchtig hatte er gemeint, er wisse nicht, warum sie sich so ein schäbiges Ding kaufe, wo sie sich doch etwas viel Besseres leisten könne. »Robert hat dich doch sicher wohlversorgt zurückgelassen, und dann kriegst du ja auch noch Großmutters gesamtes Erbe«, hatte er bitter hinzugefügt.
Greg würde ihr nie verzeihen, dass ihre Großmutter ihr Testament geändert hatte, musste Amber erkennen, obwohl sie sie gar nicht darum gebeten hatte. Da er nicht einsehen konnte oder wollte, dass sein eigenes Benehmen an seiner Enterbung schuld war, blieb ihm offensichtlich nichts anderes übrig, als sie dafür verantwortlich zu machen. In Sachen Enterbung hatte er sie zum Sündenbock gemacht.
Das Wasser in dem alten Steintrog im Hof war gefroren, und die Kälte stach Amber in die Kehle, als sie zur Hintertür eilte.
Ein Flur mit Kleiderhaken, von dem zwei große Speisekammern abgingen, trennte die Küche vom Hintereingang. Amber hängte ihren Mantel zu den anderen und ging in die Küche, wo Bruno sie stürmisch begrüßte. Der Labrador wich nur von ihrer Seite, wenn es sein musste, und Amber hatte auch gar nicht die Absicht, das anhängliche Tier zu entmutigen, schließlich schuf es eine Verbindung zu Luc.
Sobald sie die Küchentür öffnete, schlug ihr die Herdwärme entgegen. Ihre Großmutter hatte den alten Herd im letzten Jahr durch einen sehr viel größeren ersetzen lassen und brüstete sich nun gern mit dieser klugen Entscheidung.
Die Kinder saßen um den Küchentisch und aßen süße Hefebrötchen, und Bruno, der sich ja davon überzeugt hatte, dass sie sicher zu Hause angelangt war, ging zu seinem Korb und legte sich hinein.
»Mummy«, rief Emerald.
»Hallo, Liebling. Hallo, alle anderen«, antwortete Amber und ging zu Emerald, um ihr einen Kuss zu geben. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als Emerald den Kopf abwandte.
Ihre Tochter war sehr gut darin, Aufmerksamkeit zu fordern, wenn sie sie brauchte, aber genauso entschlossen, sie nicht zu erwidern, wenn es ihr nicht in den Sinn passte. Sie hatte so gar nichts von Roses süßem, liebevollem Wesen.
»Bald kommt der Weihnachtsmann«, sagte Rose.
Emerald wandte ihr marmeladenverschmiertes Gesicht zu Amber und warf ihr einen abschätzenden Blick zu. Emerald war vielleicht noch zu jung, um zu begreifen, wer der Weihnachtsmann war, aber sie hatte blitzschnell erfasst, dass er etwas war, woraus man Kapital schlagen konnte, erkannte Amber wehmütig. Es schien, als habe Emerald akzeptiert, dass ihr Vater und Bruder nicht mehr da waren. Sie verstand schließlich noch nicht, was passiert war, selbst wenn sie in den ersten Monaten nach dem Unfall ständig vor Wut gebrüllt hatte, weil sie unbedingt wollte, dass ihr Vater kam und ihr eine Gutenachtgeschichte vorlas, und alle Versuche Ambers, sie zu halten und zu trösten, strampelnd zurückgewiesen hatte.
»Ich und Jane wollen dem Weihnachtsmann heute Abend schreiben, was wir uns von ihm wünschen«, erklärte Ella und fragte dann besorgt: »Meinst du, es ist falsch, um Geschenke zu bitten, wenn wir im Krieg sind, Tante Amber?«
Ella war manchmal so ein ernstes, besorgtes Kind, und ihr leises Stirnrunzeln deutete an, dass auf ihren Schultern die Last der ganzen Welt ruhte. Niemand sprach je über die Umstände von Lydias Tod – man hielt es für das Beste -, und die Mädchen erwähnten sie nie. Offenbar hatten sie ihren Tod akzeptiert.
»Nein, ich halte das nicht für falsch, solange ihr auch für all die betet, die eure Gebete gebrauchen können.«
»Weißt du, was ich mir vom
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