Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
als Bunty sich aus der Gruppe löste und zu Jay hinüberging, um mit ihm zu plaudern. Ihrem natürlichen und entspannten Lachen nach zu schließen, kommt sie offenbar gut mit Jay und seinen Töchtern aus, dachte Amber und nahm Emerald auf den Arm.
Ihre Tochter erfuhr ziemlich viel Aufmerksamkeit, als die Leute aus der Kirche kamen, und Emerald ermunterte sie mit Grübchen und Lächeln. Die arme Rose wurde fast überhaupt nicht beachtet. Amber tat ihre Nichte, die ein so liebes, süßes Mädchen war, von Herzen leid. Ihr glattes Haar und ihr fernöstliches Aussehen unterschieden sie deutlich von den anderen, und bedauerlicherweise zog die inzwischen schon etwas ältliche Kinderfrau Emerald vor und behandelte Rose nicht so gut.
»Emerald, steh bitte still«, sagte Amber zu ihrer Tochter und setzte sie auf dem verschneiten Boden ab. Dann streckte sie Rose, die sich etwas abseits hielt und verlegen und unbehaglich dreinschaute, die Hand entgegen.
»Rose, Liebling, komm her und gib mir deine Hand«, ermutigte Amber sie.
Sofort lief Rose vor Freude rot an und eilte mit glänzenden Augen an Ambers Seite.
»Hat dir das Püppi gefallen, das dir der Weihnachtsmann gebracht hat?«, erkundigte sich Amber.
»Ja. Und die Kleider auch. Sie ist wirklich hübsch.«
Amber verbarg ein kleines Lächeln. Drei Nächte hintereinander hatte sie dagesessen und für die Puppe die edelsteinfarbenen Seidenkleider genäht, die sie nach einigen von Gregs Fotografien von Hongkong entworfen hatte. Die Kinderfrau war entsetzt gewesen und hatte behauptet, die Kleider seien heidnisch, »genau wie die Mutter des Kindes«.
»Über die Bücher habe ich mich auch gefreut, und über die Puzzles und die Wasserfarben und die Schlappen.«
Liebevoll strich Amber ihr das Haar glatt. Sie fühlte sich diesem Kind so verbunden, das wie einst sie mutterlos aufwuchs und, ebenfalls wie sie, nicht das Lieblingskind im Haus war.
50
Endlich war es vorbei, die Reste des Truthahns waren in der Speisekammer verstaut, und der Abwasch war erledigt. Ihre Großmutter war auf ihr Zimmer gegangen, um sich auszuruhen, die Kinderfrau hatte Rose und Emerald mit hinauf in den Kindertrakt genommen, um sie zu Bett zu bringen. Endlich konnte Amber aufhören, so zu tun, als wäre der Tag etwas anderes gewesen als eine schreckliche Tortur und als hätte sie ihn nicht in jeder Minute mit anderen, glücklicheren Weihnachtsfesten verglichen.
In Fitton Hall würden die Festlichkeiten zweifellos noch andauern. Die Fitton Leghs hatten mehrere Gäste und Mitglieder der weitläufigen Fitton-Legh-Familie eingeladen. Sie würden Scharaden und andere Spiele spielen, und das Haus wäre erfüllt von Freude und Gelächter. Auch Amber hatte Weihnachten früher so gefeiert und erwartet, es auch in Zukunft so feiern zu können. In einem Zimmer würden sie die Teppiche zusammenrollen und ein Grammophon aufstellen, damit die, die Lust dazu hatten, tanzen konnten. Sie hatte noch nie mit Jay getanzt.
Amber wirbelte unbeholfen herum und stieß mit einem Küchenstuhl zusammen, blind vor Tränen, die zu vergießen sie kein Recht zu haben glaubte. Wenn sie weinen musste, dann sollte sie um ihren toten Mann und ihren toten Sohn weinen, und nicht wegen der Tatsache, dass sie noch nie mit dem Mann getanzt hatte, mit dem zu tanzen sie nicht das Recht hatte.
»Du kommst also nicht mit uns zum Bahnhof, um Jay zu verabschieden und ihm alles Gute zu wünschen?«
»Nein, Großmutter.«
»Nun, die Leute werden das seltsam finden.«
»Bestimmt denken sie sich gar nichts dabei. Die merken doch nicht mal, dass ich nicht da bin. Ich muss jetzt los, ich habe ein paar Briefe zu schreiben.«
»Amber, ich muss dich etwas fragen, bevor ich gehe.«
Jay! Sie hatte sich schon vorher in Anwesenheit anderer von ihm verabschiedet, es war nicht nötig, dass er sie jetzt aufsuchte. Mit brennenden Ohren drehte sie sich zu ihm um.
Er trug natürlich seine Uniform. Hauptmann Jay Fulshawe. Man hatte ihn zum Hauptmann ernannt, nachdem er seine Ausbildung abgeschlossen hatte.
»Wenn mir etwas zustoßen sollte, möchte ich, dass du die Vormundschaft über die Mädchen übernimmst«, sagte er ohne Einleitung. »Sie kennen und lieben dich.«
Was war mit Bunty – warum fragte er nicht sie? Die Worte lagen ihr auf der Zunge, doch sie schaffte es zum Glück, sie hinunterzuschlucken.
»Ich …«
»Hier sind die entsprechenden Unterlagen. Ich habe sie unterzeichnet und meine Unterschrift bezeugen lassen. Ich bitte
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